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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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und unerbittlich in die Mitte des Saales. »Sieh deinen Thron, Winterkönigin«, sagt er. »Sieh deinen Brautstaat.«
    Vor ihren Augen wächst ein steinerner Thronsitz aus dem Boden. Ihre Füße stolpern und knirschen über brüchige, modernde Knochen dahin. Sie schluchzt auf, bäumt sich gegen den Willen, der sie beherrscht. Es gelingt ihr, die Hand aus seinem Griff zu lösen.
    »Zu früh«, hört sie seine Stimme flüstern. »Noch ist es zu früh, November Vandenbourgh. Aber bald steht der Mond erneut über dem Dorf, dann ist Samhain und du wirst mir gehören ...« Seine Stimme verklingt in einem Rabenkrächzen. Seine Gestalt wächst in die Höhe, in die Breite, lastet schwarz und gewaltig über ihr, verschmilzt mit den Mauern des Hauses ...
    *
    N ovember schrie auf und ließ das Messer fallen. Sie presste die Hand mit dem tiefen, blutenden Schnitt an den Mund. Blutstropfen zerplatzten auf der Arbeitsfläche zu grellroten Blumenmustern.
    Ihre Tante stürzte in die Küche und riss ein sauberes Küchentuch aus der Schublade. Sie wickelte es fest um die blutende Hand, schob November auf einen Küchenstuhl und sagte: »Ich hole Verbandszeug.«
    November sank gegen den Küchentisch und schloss die Augen. Ihre Gedanken trieben auf dem Wellenschlag der pulsierenden Schmerzen in ihrer Hand davon ...
    Novembertochter.
    Es ist Frühling, aber um das Haus liegt der Atem des Winters und über ihm steht am schwarzen Himmel festgefroren der volle Mond. Kaltes Licht fällt durch ein Fenster auf einen schwarz-weißen Fliesenboden. Dunkles Holz schimmert im Licht der Kerze, die sie in der Hand hält.
    »Wieder die Sicherung«, hört sie eine Männerstimme sagen. »Ich sollte die Elektrik endlich einmal erneuern lassen.« Eine Tür klappt. Der Lichtkegel einer Taschenlampe streift über Teppich und Fliesen.
    »November, schaust du bitte nach Sam?«
    Sie ist auf dem Weg nach oben, ehe sie begreift, dass das Haus ihr eigentlich fremd sein müsste. Ihre Hand berührt das Treppengeländer, eine vertraute Berührung, weiches, glattes Holz.
    Sie durchquert den oberen Gang, in dem es so finster ist wie i n einem Kohlenkeller. Die Kerze in ihrer Hand flackert wild, irgendwo muss ein Fenster offen stehen. Sie bleibt vor einer Tür stehen – woher weiß sie, dass dahinter das Zimmer ihrer Schwester ist? – und klopft an. »Sammy? Ich bin es. Wir haben wieder einen Stromausfall.«
    Sie drückt die Klinke hinab und schiebt die Tür auf. Das Zimmer wird vom Mondlicht erhellt, das durch die geöffneten Vorhänge fällt. Ihre Schwester steht am Fenster, eine scharf umrissene Silhouette. Ihr Haar glänzt wie flüssiges Silber.
    November geht zu ihr und umarmt sie. Die Wange ihrer Schwester ist feucht. »Warum weinst du?«, fragt November.
    Samhain dreht sich um und lehnt ihren Kopf an Novembers Wange. »Es ist bald so weit«, sagt sie. »Sie werden kommen und dich holen. Und dann bin ich allein.« Sie umschlingt die Taille ihrer Schwester. »Ich möchte für dich gehen«, flüstert sie. »Wenn ich es dir ersparen kann, werde ich es tun. Ich will nicht allein zurückbleiben, November. Lass ihn uns täuschen. Ich gehe an deiner Stelle. Und wenn unser Plan scheitert, wenn ich an seiner Stelle zur Hölle fahre, dann bist du immer noch hier und heiratest Cousin Jules.«
    November erwidert die Umarmung. In ihrem Kopf dreht sich alles. Wer ist Cousin Jules? Seit wann hat sie eine Schwester, die Samhain heißt? Sie schaudert. »Ich bin nicht deine Schwester«, will sie sagen, aber das wäre gelogen. Das hier ist ihre liebste Sam, mit der sie alles teilt. Sich von ihr zu trennen, wird ihr schwerer fallen als der eigene Tod.
    »Sammy«, sagt sie und streichelt ihrer Schwester über den Kopf, »du musst stark sein. Du bist meine tapfere Samhain.«
    Sam blickt sie mit festem Blick an. »Wird er kommen? Adrian? W ird er versuchen, dich zu retten?«
    November seufzt. »Ich weiß es nicht, Sammy. Er hat es versprochen, aber ich habe ihn gebeten, es nicht zu tun, es wäre nur sein Verderben. Niemand kann mich vor meinem Schicksal bewahren.« Sie greift nach Samhains Arm. »Ich möchte, dass du für uns beide lebst. Jules und du, ihr werdet sehr, sehr glücklich sein. Ihr werdet Kinder haben und ein wunderbares, langes Leben.« Sie drückt den Arm ihrer Schwester so fest, dass es wehtun muss, aber Samhain zuckt nicht und weicht nicht zurück. Ihre mondhellen Augen halten Novembers Blick fest. »
    Sammy, versprich mir nur, dass du dem Haus keine Novemberbraut

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