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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Familie, die vor Kurzem erst eingezogen war. Die beiden Frauen, Mutter und Tochter, hatten in der Küche gelegen, die beiden Männer, Vater und Sohn, waren im Garten aufgefunden worden. Die beiden Frauen waren mit Axthieben und Messerstichen getötet, der jüngere Mann regelrecht in Stücke gehauen worden. Der ältere Mann, der Vater der Familie, hatte sich offenbar nach der Bluttat an dem Baum im Garten erhängt.
    I ch schwitzte und fror gleichzeitig und meine Hände waren eiskalt. Ich lehnte mich wieder gegen die Wand und kämpfte gegen die Bilder an, die in meinem Kopf explodierten wie Feuerwerksraketen. Ich hatte die Episode vergessen, aber jetzt stand sie mir wieder in aller Deutlichkeit vor Augen. Ich hörte das Summen der Fliegen, roch den Blutgeruch, sah die zerhackte Leiche ...
    Eine Hand legte sich beruhigend auf meine Stirn. Kühl, angenehm. Ich konnte nicht sehen, wem sie gehörte, weil die Bilder alles andere verdeckten. Die Hand strich über meinen Kopf, klopfte gegen meine Wange, eine Stimme flüsterte besänftigende Worte. Ich hörte nicht, was sie sagte, weil das Summen der Fliegen alles übertönte. Aber das Gefühl, dass da jemand war, an meiner Seite, der die schrecklichen Bilder für mich vertrieb, der sich um mich sorgte, der meine Hand hielt und mir Halt gab, ließ den Ansturm des Schreckens langsam abebben und die wirkliche Welt zurückkehren. Ich hörte meinen keuchenden Atem, das Donnern in meinem Kopf, fühlte das Beben, das meinen Körper schüttelte wie eine knochenlose Puppe, aber das war alles zu ertragen. Alles war zu ertragen, wenn nur diese Bilder mich wieder losließen.
    Ich drehte den Kopf und wollte meinem Samariter sagen, dass alles wieder gut war, aber die Worte blieben mir im Hals stecken.
    Wasserhelle Augen mit rötlichen Äderchen darin. Der Blick so voller grämlicher Sorge. Das lange, papierblasse Gesicht. »Master Adrian?«
    Ich krächzte wie ein Rabe. Moriarty ließ meine Hand los und richtete sich auf. »Ich bin beunruhigt«, sagte er mit leisem Vorwurf in der Stimme. »Sie haben gerade gar nicht gut ausgesehen, Master Adrian.«
    I ch brachte immer noch keinen Ton heraus. Wedelte mit den Händen, wollte, dass er ging. Er schien mein Gestikulieren zu verstehen, denn sein Gesicht wurde noch länger und noch trauriger. Er nickte steif und wandte sich zur Tür. »Wenn Sie mich benötigen sollten, rufen Sie unbesorgt nach mir«, sagte er und legte die spinnenfingrige Hand auf die Klinke. »Ich bin immer ganz in Ihrer Nähe.« Das klang irgendwie bedrohlich. Ich schloss die Augen und japste.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Jonathan. Ich riss die Augen wieder auf. Jonty stand in der Tür, genau an der Stelle, wo Moriarty gerade noch gestanden hatte. Ich blinzelte verblüfft. Über Jonathans Miene zogen besorgte Sturmwolken auf, ich hörte es in der Ferne donnern. »Alles gut, alles gut«, beeilte ich mich zu versichern. »Ich war nur in Gedanken.«
    Ein kurzer Moment, dann kam die Sonne wieder durch. Jonathan lächelte und deutete hinter sich. »Du hast Besuch.« Ich konnte erkennen, dass er ein bedeutungsvolles Zwinkern unterdrückte. Stattdessen wurde sein Lächeln noch breiter. »Deine neue Freundin.« Pause. »Ohne Begleitung.«
    Mein Herz machte einen Sprung, aber ich bemühte mich, es Jonty nicht merken zu lassen. Also lächelte ich zurück und sagte, er möge sie holen. Während er die Treppe hinunterpolterte, warf ich das ganze Papier in meinen Rucksack zurück und stopfte ihn unter das Bett. Nova musste ja nicht mitkriegen, dass ich über ihre Familie und deren Stammsitz recherchierte. Sie würde mich noch für einen Stalker halten.
    Als ich aufblickte, stand sie im Zimmer. Sie starrte meine Bilder an. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Ekel und Faszination.
    »So schlecht finde ich sie nicht«, sagte ich.
    S ie riss ihren Blick los und sah mich an. »Sie sind toll. Aber sie machen mir irgendwie Angst.« Ihre Augen waren beinahe so hell wie die des Bestattungsunternehmers, aber sie lebten. Ich fühlte das Zucken in meinen Fingern. Ob ich sie bitten konnte, ihre Augen malen zu dürfen?
    Sie stand da und verschränkte die Hände ineinander. »Wegen neulich«, sagte sie. »Ich bin einfach so gegangen, das war nicht nett. Ich wollte nicht mit euch dort hinübergehen. In das Haus.« Sie blinzelte nervös. »Ich hatte Angst.«
    Ich war nicht weniger nervös als sie, das merkte ich daran, dass meine Hände feucht waren. »Ich auch«, sagte ich, obwohl es nicht das war, was

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