Das Haus am Abgrund
zugeschlagen. Im Pub setzte sich niemand mehr an seinen Tisch, oder man ging weg, wenn er sich an die Theke stellte. Sein Chef bat ihn, dann befahl er ihm, mit dieser nutzlosen Recherche aufzuhören.
»Schließlich lief es sich tot«, sagte Skegg und drehte eine neue Zigarette. »Wenn keiner mit dir redet, kommst du nicht weiter. Die Polizei hat mich ausgelacht.« Er leckte das Papierchen an und drückte es fest. »Also hab ich aufgehört, mich damit verrückt zu machen.« Er zuckte die Achseln.
Ich sah ihn fragend an. »Und?«
»Was – und?«
»Was hat das alles mit Heathcote Manor zu tun?«
Er schwieg und zündete die Zigarette an. »Auch eine?«, fragte er und stieß eine alles vernebelnde Wolke aus Rauch aus. Ich lehnte ab. Er zuckte die Achseln und rieb mit dem Daumen über den Flaschenhals. Die Ginflasche klemmte zwischen seinen Beinen. Er hatte den Pegel darin kräftig gesenkt, aber seiner Stimme und seiner Erzählung waren davon nicht viel anzumerken. Vielleicht war er deswegen so gesprächig.
»Das Haus «, sagte er nach einer Weile mit dieser seltsamen Betonung, die ich auch schon bei anderen aus dem Dorf gehört hatte. »Ich glaube, dass es einen Zusammenhang gibt. In jeder Generation, soweit ich es habe zurückverfolgen können, gab es in der Familie Vandenbourgh eine Tochter, die plötzlich verschwunden ist.« Er sah mich an, erwartete Widerspruch oder etwas anderes, aber ich nickte ihm nur zu. Eine unausgespro c hene Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich ahnte, was er gleich sagen würde.
»Und weißt du, wie sie diese Töchter nennen, die Vandenbourghs? Immer?« Er lehnte sich vor, kniff die Augen zusammen, zog die Schultern hoch. »November«, flüsterte er. »Jede einzelne von ihnen. Geboren im November, aufgewachsen in Heathcote Manor, dann, kaum dass sie den Kinderschuhen entwachsen ist, verschwunden und nie wieder gesehen worden.« Er lehnte sich zurück und starrte mich weiter an. Ich zwang mich weiterzuatmen. November. Blass und hell, schön wie ein Wintertag ...
»Da habe ich mich gefragt«, sagte er und unterbrach meine Gedanken, »was es mit dem Teufelspakt wohl auf sich haben mag, den Heathcote Vandenbourgh damals geschlossen haben soll. Was hat er da verpfändet? Seine Seele? Oder doch ganz etwas anderes?«
Ich konnte seinen Blick nicht erwidern, der so voller Hoffnung war. Endlich hörte ihm jemand zu, endlich glaubte ihm jemand. Und ja, verdammt, ich glaubte ihm!
»Wie hängt all das mit den verschwundenen Kindern zusammen?«, fragte ich. Meine Stimme klang flach. Ich wollte nichts empfinden. Das hier war Forschungsarbeit. Ich stellte mich so, als wollte ich tatsächlich nur einen Aufsatz darüber schreiben. Das half mir, diese Geschichte zu ertragen, in die ich auf so seltsame Weise verwickelt zu sein schien.
Er atmete tief ein und schloss die Augen. »Das ist der Teil, auf den ich stolz bin«, sagte er leise. »Ich habe mich gefühlt wie Sherlock Holmes. Also hör zu, Watson: Gelegentlich wurde eine der Novembertöchter schon früher von einem Unglück heimgesucht. Eine starb als Säugling. Eine brach sich als kleines Mädchen beim Reiten ein Bein, die Wunde infizierte sich und sie starb daran. E ine hat sich den Hals gebrochen, als sie von der Klippe gefallen ist. Selbstmord, wenn du mich fragst. Eins der Mädchen ist kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag von zu Hause abgehauen und soll in Schottland einen jungen Arzt geheiratet haben.« Er öffnete die Augen. »Und immer – IMMER! – folgte einem dieser Vorfälle eine Serie von Gewalttaten im Dorf. Mord und Totschlag. Unfälle, Brände. Und die verschwundenen Kinder. Ein Blutzoll für das entgangene Opfer. Was sonst?«
Ich schüttelte mich unwillkürlich. »Wer sollte dahinterstecken?«, fragte ich nüchtern, während mein Verstand darum kämpfte, die Oberhand zu behalten, denn darunter kreischte die Panik. »Das müsste doch jemand sein, der jahrhundertelang ...«
»Der Teufel möglicherweise?«, unterbrach mich Skegg mit funkelnden Augen. »Ich glaube genauso wenig daran wie du, mein Junge. Aber da ist etwas. Etwas Altes und Böses. Und es wohnt in Heathcote Manor!«
Er trank und schwieg. Ich sortierte meine Gedanken. Diese Geschichte war vollkommen irrsinnig, dem alkoholgetränkten Gehirn eines notorischen Säufers entsprungen. Jedenfalls versuchte ich mir das einzureden.
»Seit Jahrzehnten weigert sich die Besitzerin, das Haus entweder zu vermieten oder zu verkaufen oder wenigstens instandhalten zu lassen«, fuhr
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