Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
seine Arbeit vorgeschoben. »In meiner Branche gibt es keine Rezession«, hatte er gemailt. Und zur Entschuldigung ein Dutzend Flaschen Moët & Chandon geschickt.
Nach der Geburt von Felix hatte ich häufiger Kontakt mit Mrs O’Hanlon. Aidan und ich riefen mindestens einmal im Monat an. Aidan telefonierte immer lange mit ihr, dann wechselte ich einige Worte mit seiner Mutter. Wir unterhielten uns über die Fortschritte, die Felix machte, lustige Dinge, die er anstellte, aber meistens sprachen wir über das Wetter in Canberra und in Carlow. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn sie Felix gesehen hätte, wenn ich mehr Zeit mit ihr verbracht hätte. Vielleicht hätten wir dann mehr Gesprächsthemen gehabt, doch so waren wir nie über Höflichkeitsfloskeln hinausgekommen. Irgendwann fiel immer die Bemerkung, dass es eine Schande sei, dass man den vielen irischen Regen nicht gegen etwas australische Sonne tauschen konnte. Dann lachten wir, als ob wir zum ersten Mal auf die Idee gekommen wären, danach gab ich das Telefon an Aidan zurück.
Aidans Familie schickte Blumen zur Beerdigung. Ein riesiges Bouquet mit einer Karte, in ihrer dreier Namen. Wir beten für Euch. Mrs O’Hanlon ließ, das erfuhr ich von Aidan, in ihrer Kirche eine Messe für Felix lesen. Sie hatte mehrmals angerufen, ich aber hatte nie mit ihr gesprochen.
Bis zu jenem Morgen. Nachdem wir uns in eine kurze Verlegenheitsunterhaltung über das Wetter geflüchtet hatten, schwiegen wir. Es war, als ob wir es beide nicht ertragen könnten, die Erste zu sein, die Felix erwähnte. Als das Schweigen andauerte, drängte es mich, ihr die Wahrheit zu sagen.
Mrs O’Hanlon, ich werde Aidan verlassen. Noch heute. Es geht nicht anders. Wir zerstören uns gegenseitig. Es tut mir sehr leid.
Dann hätte ich ihr meine Gründe erklärt. Dass in unserem kleinen Apartment nicht genügend Platz für all unseren Schmerz war, für die Schuld, die Vorwürfe, dass unsere Trauer an die engen Mauern stieß, dass seine Tränen, meine Tränen wie ein Gift wirkten, dass wir uns keinen Trost, nicht den allerkleinsten schenken konnten, da wir nur Traurigkeit empfanden, solch ungeheure …
Am Ende drückte ich mich doch. Ich sagte nichts. Ich tat so, als wäre jemand an der Tür. Ich verabschiedete mich, sagte mit seltsam heiterer Stimme, ich würde Aidan ausrichten, dass sie angerufen hatte. Als ob es ein ganz normaler Tag wäre, wir ein ganz normales Paar, das ganz normale Dinge tat und sich informierte, wenn jemand angerufen hatte.
Ich sagte es ihm nicht. Mein Abschiedsbrief war schon geschrieben. Sollte ich ein PS daruntersetzen? Deine Mutter hat angerufen. Sie wartet auf deinen Rückruf.
Ich nahm nur einen Koffer mit. Einige Kleider, einige Bücher, die Hälfte aller Fotos von Felix, mehr nicht. Ich war rastlos, ich wollte keinen Ballast. Und wenn ich in den Tagen und Wochen danach mitten in der Nacht wach wurde und mich elend fühlte, machte ich mir vor, das hätte nichts damit zu tun, dass ich Aidan verlassen hatte. Ich redete mir ein, ich hätte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm den Anruf seiner Mutter verschwiegen hatte.
Kapitel 20
Lieber Felix,
es gibt so vieles, was ich Dir gern zeigen würde. Nicht nur Alltägliches wie Hunde oder Katzen, Autos oder Züge. Ich wäre mit Dir auch in Ausstellungen gegangen. In Museen. Sogar in langweilige Museen, mit Dampfmaschinen und Oldtimern, wenn Dir so etwas Spaß gemacht hätte. Heute habe ich auf der Straße einen kleinen Jungen auf einer Art Dreirad mit einer Stange gesehen. Er war etwa in Deinem Alter. Seine Mutter musste ihn schieben, er hat sich überhaupt nicht angestrengt, aber das war dem Kleinen entweder nicht bewusst, oder es war ihm egal. Er hat so breit gegrinst, so triumphierend in die Welt geblickt, als ob er Evel Knievel wäre, ein Stuntman, ein Draufgänger, und kein kleiner Junge, den die Mutter auf einem Kunststoffdreirad über den Bürgersteig schiebt. Und da habe ich begriffen, dass es in seiner Vorstellungswelt so war. Er war ein Stuntman. Es stand in seinen Augen, seiner Miene, seinem Grinsen.
In dem Moment war es mit meinem Spaziergang vorbei. Ich bin nach Hause gegangen und habe geweint, wie seit den ersten Tagen nicht. Es wird nicht besser, oder? Ich hatte geglaubt, es würde irgendwann besser, die Zeit würde für mich, für uns alle arbeiten, aber hier und heute habe ich Angst, dass dem nicht so ist. Weil in unserem Leben immer ein Loch in Deiner Größe klaffen wird, und wie sollen wir das
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