Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
eines Londoner Abgeordneten, einen lukrativen Goldclaim in Gympie besessen hat. Jetzt leitet Berenice die Geschäfte und führt in Brisbane ein Luxusleben. Sie ist eine ungewöhnliche Frau, energisch und strahlend wie die Sonne. Ihre Freunde hängen an ihren Lippen, wenn sie etwas sagt, philosophiert und Witze erzählt, die weitaus schmutziger sind als die Lieder der Männer an Deck. Isabella ist fasziniert.
Und Berenice ist fasziniert von Isabella. Isabella hat ein schlechtes Gewissen, weil sie ihr nicht die Wahrheit gesagt hat, und weicht daher den Fragen aus. Irgendwie aber entschlüpft ihr, dass ihr Mann tot ist, dass sie eine Schwester in New York hat, die sie bald zu besuchen hofft, und dass sie nur zwei Kleider besitzt, von denen sie eins gerade trägt.
»Wie lange bleiben Sie in Brisbane?«, fragt Berenice nachdenklich, nachdem sie sich von dem Schock erholt hat, dass ein Mensch nur zwei Kleider besitzen kann.
»Drei Tage.«
»Und wo werden Sie übernachten?«
»In einer Pension in New Farm. Man hat mir gesagt, sie sei sauber und nehme Frauen und Kinder auf.«
Doch Berenice macht schon eine wegwerfende Handbewegung. »New Farm ist meilenweit von der Eagle Street entfernt, wo der Dampfer anlegt. Da dürfen Sie nicht wohnen. Sie müssen zu mir kommen.«
»Wirklich? Das kann ich nicht annehmen.«
»Doch, doch, das müssen Sie. Dann können Sie in meiner Kutsche zu Ihrer geschäftlichen Verabredung fahren. Ein hübsches Mädchen aus gutem Hause sollte es nicht so schwer haben.«
Isabella begreift, dass sie nicht nein sagen kann. Zu einer Frau wie Berenice sagt man nicht nein. »Ich nehme Ihr Angebot mit der Übernachtung gerne an, aber Sie müssen mir die Freiheit gestatten, meinen Tagesablauf allein zu gestalten.«
Einen Moment lang verschwindet Berenice’ zauberhaftes Lächeln. Ihre Freunde beobachten aufmerksam, wie sie auf diesen Widerstand reagieren wird – sie wirken geradezu ängstlich –, doch dann lächelt sie wieder und reibt Isabellas Handgelenk. »Sie erinnern mich an mich selbst in diesem Alter. Sie wissen, was Sie wollen. Ein unabhängiger Geist.«
Der Steward nähert sich und reicht Isabella ein Kissen und eine Decke. »Für die Koje. Es ist die letzte auf der Steuerbordseite.«
»Vielen Dank.«
Er schaut von Berenice zu Isabella. Nickt einmal und geht davon. Plötzlich ist sie sehr müde.
»Es tut mir leid, aber ich bin erschöpft.«
»Natürlich, Sie Ärmste. Wir sehen uns beim Frühstück.« Berenice küsst sie auf die Wange. »Träumen Sie schön.«
Isabella begibt sich in ihre Koje, ein Bett zum Herunterklappen in einer niedrigen Nische, die nur durch einen dünnen Vorhang abgetrennt wird. Sie legt sich hinein und rollt sich unter der Decke auf die Seite. Träumen Sie schön. Sie versucht es, versucht es wirklich, doch sowie sie allein ist, kehrt die Melancholie zurück, und ihre Träume sind nur ein wirres Durcheinander von Bildern: Wasser und Dampf, Kohle und Donner und ein kleiner Junge, der ihr in einem dunklen Wald für immer entgleitet.
Isabella hält die Adresse des Juweliers Maximillian Hardwick in der linken Hand und ihren kleinen Koffer in der rechten. Sie ist körperlich und geistig erschöpft. Beim Frühstück hat Berenice sie mit weiteren Fragen gelöchert. Je mehr Isabella ihr auswich, desto unbarmherziger fragte sie nach. Vielleicht wäre sie doch besser in der Pension abgestiegen. Nun aber hat sie an diesem Tag erst einmal Ruhe.
Ein gutgekleideter Mann fährt auf einem Fahrrad an ihr vorbei und reißt Isabella mit seiner warnenden Glocke aus ihren Gedanken. Brisbane ist eine geschäftige Stadt, mit breiten Straßen und neuen Gebäuden. Eine von Pferden gezogene Straßenbahn rattert mitten über die gepflasterte Straße. Sie bemerkt, dass alle Frauen Sonnenschirme bei sich tragen. Kein Wunder, selbst in dieser kühlen Jahreszeit scheint ihr die Sonne grell ins Gesicht. Sie versucht, im Schatten zu bleiben, während sie sich in die Queen Street begibt und nach dem Ladenschild des Juweliers Ausschau hält. Dann endlich entdeckt sie es in einem Fenster im oberen Stockwerk eines Hauses. Isabella klopft abergläubisch auf den kleinen Koffer und steigt eine steinerne Treppe hinauf, die sie ins Juweliergeschäft führt.
Es ist ein kleiner Laden, in dem es stark nach Wachs und Politur riecht. Das einzige Licht fällt durch ein schmales Fenster, auf dem der Name des Juweliers steht. Von innen liest sie ihn verkehrt herum. Es gibt Vitrinen mit Schmuck und den
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