Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
ganzes Leben im Urlaub verbrachte. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie in einem Paradies lebte. Weil sie hier aufgewachsen war, hatte sie es immer als selbstverständlich betrachtet. Doch der Strand und der Himmel und die Sonne waren ein richtiges Wunder. Irgendwann wurde jeder frustriert, der inmitten stickiger Auspuffgase und feuchter Menschenmengen in Regenmänteln lebte, und begann vom warmen Ozean zu träumen.
Würde es ihr auch so gehen? Würde auch ihr die Luxuswohnung in Paris eines Tages nicht mehr reichen? Würde sich die Sehnsucht umkehren und die Küste von Queensland sie wieder zu sich locken? War es ihr bestimmt, immer und überall unzufrieden zu sein?
Roman ging offline, weil er eine Besprechung hatte, und Libby überlegte, ob sie vor ihrer Abendschicht etwas essen sollte. Sie wollte den Katalog unbedingt fertigstellen und sich mit der Arbeit von anderen Gedanken ablenken.
Als Libby zehn Minuten zu spät ins Azzurro kam und Tristan nicht sofort entdeckte, geriet sie einen Moment in Panik. Hatte er keine Lust mehr gehabt zu warten und war nach Hause gefahren? Oder schlimmer noch, hatte er sie einfach versetzt?
Der Oberkellner sah sie einsam und verloren dastehen und erkundigte sich, ob er helfen könne.
»Ich bin hier mit Tristan Catherwood verabredet. Ist er schon da?«
»Ja, er ist oben. Kommen Sie bitte mit.«
Libby folgte dem Oberkellner durchs Restaurant, an der Küche vorbei und eine Treppe hinauf. Sie gelangten auf einen gewaltigen Balkon mit Blick auf den Fluss. An einem einzelnen, mit Kerzen beleuchteten Tisch saß Tristan.
Sie lachte. »Du lieber Himmel.«
Der Oberkellner zwinkerte ihr zu. »Mr. Catherwood hat auf etwas Besonderem bestanden.«
Tristan stand auf, zog ihren Stuhl zurück und küsste sie leicht auf die Wange.
»Tut mir leid, dass ich zu spät komme.« Sie setzte sich.
»Kein Problem. Ich habe die Aussicht genossen.«
Libby schaute zum Fluss, auf dem sich die Yachten wiegten. »Das ist wirklich besonders.«
»Genau wie du.«
Sie drehte sich zu ihm um und konnte ihr Lächeln nicht verbergen. »Nun, jedenfalls hast du keine Kosten und Mühen gescheut. Weißt du denn nicht, dass du mich schon herumgekriegt hast?«
Er griff nach ihrer Hand und streichelte sie sanft. »Du bist wunderschön, Libby. Ich habe dich die ganze Woche vermisst.«
»Gleichfalls.«
»Sind die Verträge gekommen?«
Der plötzliche Themenwechsel überraschte sie. »Ja. Ich habe für nächste Woche einen Termin mit einem Anwalt vereinbart.«
»Kluges Mädchen.« Er goss ihr ein Glas Wein ein, und sie setzten ihre Unterhaltung fort, als wären sie nie getrennt gewesen. Ihr wurde erneut klar, was sie an ihm mochte. Er war interessant, hatte viel erlebt, wirkte aber nicht arrogant oder egoistisch. Er hatte etwas Frisches an sich, das sie förmlich berauschte. Sie lachten und redeten während des Hauptgangs, doch als er die Weinflasche hob, um ihr nachzuschenken, legte sie die Hand über ihr Glas.
»Ich muss noch fahren.« Sie hoffte, er werde sie einladen, die Nacht bei ihm zu verbringen.
»Ach so, stimmt.« Er sah auf die Uhr. »Ein halbes Glas? Wir können danach noch am Strand spazieren gehen.«
»Sicher.« Dann wagte sie sich vor. »Oder ich könnte mit zu dir kommen.«
Er lächelte. Schaute ihr in die Augen. Doch dann sagte er: »Nicht heute Abend.«
»In Ordnung.« Sie versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen. Ihr wurde klar, dass sie eine halbe Stunde lang miteinander gesprochen und er noch nicht einmal die Frau erwähnt hatte, die ans Telefon gegangen war. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er hob sanft die Hand.
»Meine Mitbewohnerin. Sie steht auf mich. Es ist ein bisschen kompliziert. Am besten rufst du mich nicht an und kommst nicht vorbei, bis ich das geklärt habe.«
»In Ordnung«, wiederholte Libby und schaute in die Kerzenflamme. Doch sie wusste – wusste genau –, dass das gelogen war. Oder zumindest nur die halbe Wahrheit. Reiche Männer um die vierzig hatten nicht einfach weibliche Mitbewohnerinnen.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Sie lächelte strahlend. »Natürlich. Warum nicht? Wolltest du mir nicht noch etwas Wein einschenken?«
Er füllte lachend ihr Glas nach. Sie bewahrte ihr Strahlen, doch ihr Verstand arbeitete fieberhaft. Tristan gehörte einer anderen. Der Gedanke war einerseits enttäuschend, doch suchte man nur dann etwas Neues, wenn die eigene Beziehung nicht mehr intakt war. Das hatte Mark immer gesagt.
Beim Gedanken an Mark
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