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Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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brechen.
    Isabella kehrt abrupt um und geht in die andere Richtung; sie will nicht wissen, ob es ihre Freunde oder nur Seeleute sind. Eine große Leere macht sich in ihr breit. Sie kriecht unter ihr Boot und schluchzt stundenlang.
    Aber sie weiß, dass es Zeit ist zu gehen.
    Außer den Leichen sind auch Trümmer des Wracks an Land gespült worden. Sie sucht nach etwas Nützlichem, findet jedoch nichts. Nur zersplittertes Holz. Keine Flaschen oder Fässer, Kleidungsstücke oder Schuhe. Sie schaut wieder hinüber zu den Leichen, wendet sich aber rasch ab. Sie wird einer Leiche nicht die Kleider stehlen. Isabellas Augen wandern zum Ende der Bucht. Wenn sie bis an die Spitze läuft, wird sie vielleicht besser erkennen können, wo sie sich befindet. Womöglich gibt es sogar eine Stadt. Der Gedanke muntert sie auf. Vielleicht wird sie Häuser sehen.
    Oder einen endlosen Strand, gesäumt von einem dornigen Wald.
    Isabella holt tief Luft. Zuerst muss sie Daniels Armband aus der Kiste holen.
    Um das Boot herum liegen Steine im Sand. Isabella wählt einen aus und zieht die Kiste unter dem Boot hervor. Sie zielt und schlägt mit dem Stein gegen das Schloss. Der Aufprall lässt ihre Arme und Schultern erzittern. Die Schließe aus geprägtem Messing fällt ab, doch das Schloss hält stand. Weil ihr Mann solche Angst vor Dieben hatte, bevorzugte er solide Schlösser, die von innen und außen fest angeschraubt sind.
    Isabella überlegt, ob sie wohl eine Diebin ist, während sie ein Stück von ihrem Unterrock abreißt und zu einem Seil dreht, das sie durch einen Messinggriff fädelt. Sie steht auf und zieht die Kiste hinter sich her.
    Langsam geht sie über den Sand. Die Sonne ist heiß und steht hoch am Himmel. Sie bleibt stehen, zieht den zerrissenen Unterrock aus und wickelt ihn wie ein Tuch um den Kopf. Sie zupft den weißen Baumwollstoff ein wenig nach vorn, um ihr Gesicht zu schützen. Dann greift sie wieder nach dem Seil und geht weiter. Der Sand knirscht unter ihren Füßen. Der Rhythmus des Meeres begleitet sie: fünf Schritte, wenn es sich zurückzieht, fünf Schritte, wenn es heranbrandet. Sie erreicht das Ende des langen Arms, der die Bucht umfängt, und klettert hinauf, wobei sie die Kiste hinter sich herzieht. Langes, hartes Gras bedeckt den Boden und sticht in ihre Füße. Die Bäume, die den Strand einrahmen, sind grau und oliv. Plötzlich überkommt sie eine ungeheure Sehnsucht nach England, wo die Sonne sanft ist und die Bäume dunkelgrün sind, wo sie Schuhe hatte und wusste, was als Nächstes geschehen würde.
    Sie schleppt sich weiter die Landzunge hinauf. Die Sonne erreicht den höchsten Stand und beginnt langsam wieder zu sinken, wodurch sich die Schatten des Grases im Sand verändern. Dann schließlich steht sie an der Spitze der Landzunge. Noch wagt sie nicht, hinüberzuschauen. Sie entdeckt einen Felstümpel. Er ist so hoch gelegen, dass es nur Regenwasser sein kann. Sie trinkt, obwohl Sand zwischen ihren Zähnen knirscht. Sie wünscht sich, sie hätte gestern Regenwasser gesammelt, doch dann fällt ihr ein, dass sie kein Gefäß hat.
    Sie stellt die Kiste ab, richtet sich auf und wirft einen tapferen Blick hinüber. Zuerst nach Norden. Nichts. Endloser Sand, in der Ferne eine weitere Landzunge, die im Meeresdunst verschwimmt. Dann blickt sie nach Süden. Auch nichts. Noch mehr Dunst. Noch mehr blaugrüner Ozean, der jenseits der schützenden Bucht wild herandonnert.
    Endlos. Endlos.
    Sie kommt sich so klein vor, spürt die ungeheure Größe der Welt, die schweigende Gleichgültigkeit Gottes. Sie spürt die Macht des Ozeans und ihre eigene Kraftlosigkeit. Isabellas Knie geben unter ihr nach. Sie setzt sich in das stachelige Gras, das sich durch ihr Kleid bohrt, legt die Stirn auf die Knie und wünscht sich sehnlichst, wie alle anderen zu sterben.
    So bleibt sie lange sitzen. Ihr Herz hämmert in den Ohren, das Meer brandet um sie herum, und sie sehnt sich nach einem kleinen, ruhigen Platz und Unterkunft und Essen. Sie hebt den Kopf. Sie kann hier nicht ewig sitzen bleiben, dann wird sie ganz sicher sterben. Im Norden sind Wolken zu sehen, die zu Sturmwolken werden könnten. Das Schiff fuhr nach Süden, also muss es im Süden etwas geben. In schmerzhafter Ferne, vielleicht Hunderte Meilen von hier. Doch irgendetwas ist dort, und dort muss sie hin. Sie kann nicht hierbleiben, wo es gar nichts gibt. Ihr Magen knurrt schon vor Hunger, und die Sonne lässt das Regenwasser verdunsten. Sie fürchtet sich, zwischen

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