Das Haus an der Klippe

dir.
    Bald geht er. Er glaubt, keiner seiner Handlanger weiß Bescheid, aber vor einer Sibylle läßt sich nichts verheimlichen.
    Und du, Popeye, bist sein derber Abschiedsgruß an die neidischen Götter, die, wie er meint, soviel Glanz neben ihrem Thron nicht dulden wollen. Er hofft, in sechs Monaten am Busen unserer gemeinsamen Alma mater zu liegen, geadelt durch einen Rektorposten, wo er mit einer Arschbacke auf den Gesichtern der armen Universitätsdozenten hockt, deren Karrieren von ihm abhängen, und die andere diskret früheren Kollegen zum Kuß anbietet, wenn sie an seine Tür klopfen, um jenen Rat einzuholen, den nur seine Allwissenheit bieten kann.
    Der arme Idiot hat eine Überdosis Deighton und Le Carré geschluckt!
    Da hast du’s, Popeye. Wir sind beide von Gaw Sempernel reingelegt worden.
    Man könnte auch sagen, wir verdanken es ihm, daß wir beide wissen, was es heißt, in einer Zelle zu sitzen.
    Und jetzt, obwohl ich offiziell der Wärter bin, finden wir uns beide in engster Tuchfühlung in einer Zelle wieder, die der große Komiker Gaw
Sibyllinische Blätter zu
nennen beliebt.
    Die Haft verändert einen Menschen. Man hat Zeit zum Nachdenken.
    Ich denke viel nach.
    Popeye auch. Wahrscheinlich hat er sich folgendes überlegt: Es geht aufs Ende zu. Vielleicht kriege ich doch noch ein Leben zustande, bei dem ich nicht auf meine alten Tage von Kugeln durchlöchert inmitten von Leichen ende. Ich habe den Krieg überlebt, da kann es doch nicht so schwer sein, den Frieden zu überleben.
    Es sollte schwieriger werden, als du ahnen konntest, Popeye.
    Du fandest eine Bewegung vor, die unter dem Druck interner Diskussionen, wie man sich angesichts der neuen Situation verhalten sollte, zerrissen und zersplittert wurde.
    Schlimmer noch, obwohl du nach wie vor behauptetest, an Amnesie zu leiden, wurdest du von den extremsten Gruppierungen umworben, die wissen wollten, wo die Waffen versteckt sind.
    Da muß es viele hitzige Diskussionen gegeben haben.
    Gewiß gab es heikle Momente, als Leute, die Amnesie für ein Reiseziel von Sextouristen in Asien halten, dir die Information mittels Folter entlocken wollten.
    Aber ein Mann, der ein Verhör durch Gaw Sempernel überlebt hat, überlebt alles.
    Doch es mußte etwas passieren.
    Unsicher, ob du nun Sieger oder Opfer warst, und unfähig zu begreifen, ob du dein Ziel erreicht hattest oder nicht, kamst du schließlich, wie manch anderer verquerer Philosoph, zu dem Schluß, erst mal deinen eigenen Garten zu bestellen.
    Vielleicht kehrte nun dein Erinnerungsvermögen zurück. Vielleicht hatte es dich nie verlassen.
    Und wenn es dich in Gefahr gebracht hatte, konnte es dir auch etwas einbringen.
    Aus Sicherheitsgründen schlossest du dich einer kleinen Gruppe desillusionierter Haftentlassener an, die ebenfalls meinten, der Beifall auf einer
Sinn-Fein
-Versammlung sei ein dürftiger Lohn für das, was sie durchgemacht hatten, und machtest dich auf die Suche nach Kunden. Und als du feststellen mußtest, daß deine ehemaligen Gefährten keine Lust hatten, für etwas zu bezahlen, was sie bereits als ihr Eigentum betrachteten, ließest du den Blick in die Ferne schweifen.
    Ein paar kleinere, aber lukrative Geschäfte mit Europa und dem Nahen Osten folgten. Aber dein As im Ärmel, der Trumpf, mit dem du ein nettes Vermögen für den Ruhestand verdienen wolltest, war das Geheimversteck mit den hochmodernen Gewehren und Raketen, welche du während jener Überlandfahrt, die im Fiasko von Liverpool endete, irgendwo im Feindesland gebunkert hattest.
    Jetzt wissen wir (und wie immer bei Popeye haben wir auch die Leichen, um es zu beweisen), daß der gewählte Ort ein abgelegener und unzugänglicher Ausläufer des Kielder Forest an der englisch-schottischen Grenze war.
    Für dieses Waffenlager suchtest du einen Kunden mit dem nötigen Kleingeld.
    Und du fandest PAL , die kleinste, aber radikalste Guerillerogruppe Kolumbiens, die harte Zeiten durchmachte – nicht so sehr wegen der Aktivitäten der staatlichen Anti-Rebellen-Truppen, sondern weil ihr Anführer Fidel Chiquillo, der sich unbescheiden, aber nicht ganz unzutreffend zum »legendären« Helden stilisierte, beim Oberkommando von Farc und ELN , den beiden mächtigsten Rebellenorganisationen, in Ungnade gefallen war.
    Um PAL das Wasser abzugraben, wurde den amerikanischen Waffenlieferanten mitgeteilt: Wenn ihr an PAL verkauft, könnt ihr Geschäfte mit uns vergessen.
    Chiquillo, der verzweifelt um seine Stellung in der