Das Haus an der Klippe
verhindert, sondern auch bei zwei Männern in dunklen Anzügen, einer untersetzt, der andere dürr, die ganz hinten im Gerichtssaal saßen und bei seinem Erscheinen erleichtert ein paar Worte wechselten, um dann mit undurchdringlichen Gesichtern das Geschehen zu verfolgen.
Die Vorsitzende Richterin war Mrs. Nora Broomhill, eine Frau unbestimmten Alters, aber mit sehr bestimmten Ansichten, zu denen auch gehörte, daß eine Polizei, bei der Leute wie Andy Dalziel höhere Ränge bekleideten, ein Augiasstall sei, den man mal kräftig ausmisten müsse.
Der Dicke nickte und lächelte ihr zu, wobei er nur die Andeutung eines Bedauerns erkennen ließ. Sie bedachte ihn mit einem funkelnden Blick, der gut zu einem Todesurteil gepaßt hätte, und wies den Beisitzer an zu beginnen.
Als die Einleitungsfloskeln heruntergeleiert waren, sah Dalziel zur Anklagebank, wo Kelly Cornelius saß. Bis jetzt kannte er sie nur von dem Foto aus ihrer Akte, das sie noch mit geschwollener Nase zeigte. Nun sah sie fast wieder normal aus, und es entging ihm nicht, daß sie wirklich eine überaus attraktive junge Frau war. Sie war nicht eigentlich schön zu nennen, zumindest besaß sie nicht jene besondere Kombination von Eigenschaften, auf die Männer seiner Generation konditioniert waren, doch zog ihr längliches, eher blasses Gesicht mit den großen dunklen Augen und den hervortretenden Wangenknochen ihn trotzdem in seinen Bann. Selbst wenn sie ganz still saß, hatte sie etwas Vibrierendes, wie eine Landschaft, die in der Sommerhitze erzittert. Mit einem Mal verstand er, warum Peter Pascoe der Welt und sich selbst hatte beweisen wollen, daß er davon nicht zu beeinflussen war. Wenn der Dicke sonst eine schlanke (oder, wie man in Yorkshire sagte, eine »dürre«) Frau sah, dann dachte er gewöhnlich an Zwangsfütterung mit Yorkshire-Pudding und Mehlspeise mit Rosinen. Doch diese Frau ließ ihn an Tango auf einer mondbeschienenen Tanzfläche denken, mit einem unsichtbaren Orchester und dem Duft von Bougainvillea, der die warme Sommerluft füllte …
Obacht, Hamish! sagte er zu sich selbst, völlig verwirrt, besonders, weil er sich gerade bei der Frage ertappte, ob er denn überhaupt Bougainvillea von Heidekraut unterscheiden könnte. Du bist wohl an der Reihe!
»Mr. Dalziel!«
Nora Broomhills Tonfall ließ keinen Zweifel daran, daß sie ihn schon einmal angesprochen hatte.
»Oh, ja. Bitte.«
Kelly Cornelius hob die Augen und schaute ihn an, sei es, weil sie durch sein Starren aufmerksam geworden war, sei es, daß sie dem stahlharten Blick der Richterin gefolgt war.
»Ist es richtig, daß die Polizei beantragt, Mrs. Cornelius noch weiter in Untersuchungshaft zu behalten?«
»So ist es, Ma’am.«
»Wenn Sie die Güte hätten, uns die Gründe für diesen Antrag mitzuteilen.«
»Oh, ja. Also …« Er griff in die Innentasche seines Jackets, förderte ein paar zerknitterte Blätter zu Tage, nahm sie mit leichter Verwunderung in Augenschein, wobei seine Schneidezähne seine Unterlippe benagten wie ein hungriger Hund, der einen alten Reifen probiert, und fuhr dann fort: »… na ja, ich nehme an, es sind dieselben wie beim letzten Mal.«
Mrs. Broomhills Augenbrauen wölbten sich zu einem normannischen Rundbogen.
»Dieselben wie beim letzten Mal?«
wiederholte sie.
»Ja. Ich nehme an, Sie haben das irgendwo aufgeschrieben, Ma’am« sagte Dalziel und lächelte sie vertrauensvoll an.
»Das nehme ich auch an, Superintendent. Aber hier vor Gericht wird nicht abgenickt. Jeder neue Antrag ist unabhängig vom vorherigen. Die Begründung muß wiederholt und, wenn nötig, sogar bekräftigt werden. Wir verhandeln hier über die Freiheitsrechte einer Staatsbürgerin, Mr. Dalziel, einer Staatsbürgerin, die einen Anspruch darauf hat, vor dem Gesetz als unschuldig zu gelten, solange nicht ihre Schuld bewiesen ist. Also lassen Sie mich bitte Ihre Begründung hören.«
»Na ja, sie hat einen von unseren Jungs verdroschen, ihm die Nase gebrochen …«
»Soweit ich weiß, wird ihr das
vorgeworfen
«, sagte Mrs. Broomhill kühl. »Verstehe ich Sie richtig, Sie wollen behaupten, die Polizei sieht ein Risiko darin, wenn Miss Cornelius auf freien Fuß gesetzt wird?«
»Nein! Seien Sie nicht albern. Oh, ’tschuldigung, Ma’am … war nicht so gemeint … was ich sagen wollte ist, es wird da noch wegen anderer, schwerer Vorwürfe gegen sie ermittelt, und wir fürchten, sie könnte sich aus dem Staub machen.«
»Das Land verlassen, meinen Sie?
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