Das Haus an der Klippe
Aber soviel ich weiß, hat Miss Cornelius freiwillig ihren Paß abgegeben. Miss Dacre?«
Die junge Anwältin von Kelly Cornelius, die den Wortwechsel mit wachsender Begeisterung verfolgt hatte, sprang auf und sagte: »Das stimmt, Ma’am.«
»Und wie weit sind die Untersuchungen hinsichtlich dieser anderen möglichen Vorwürfe gediehen, Mr. Dalziel? Ist da ein Ende in Sicht?«
Dalziel warf den beiden dunkelgekleideten Herren im Hintergrund des Gerichtssaals einen flehentlichen Blick zu. Sie vermieden es geflissentlich, ihm in die Augen zu schauen.
»Kann ich nicht sagen, Ma’am«, meinte er hilflos. »Tut mir leid. Aber ich dachte, jemand hat vielleicht ein vertrauliches Wort mit Ihnen geredet … vielleicht …«
Der Brauenbogen der Richterin verzog sich von normannisch zu senkrecht.
»Sind Sie fertig, Superintendent?« sagte sie kalt. »Miss Dacre?«
Die Anwältin erhob sich und trug bescheiden vor: »Wenn Sie gestatten, Ma’am, meine Klientin befindet sich nun schon seit fast drei Wochen in Untersuchungshaft, und das aufgrund eines Vorwurfs, der, falls er ihr nachgewiesen wird, ohne daß ich dem Urteil des Gerichts vorgreifen will, wahrscheinlich nicht mit einer Haftststrafe dieser Länge geahndet wird. Diese angeblichen anderen Vorwürfe haben bislang zu keiner weiteren Anklage geführt, und nach dem, was der Superintendent sagt, werden sie das auch in absehbarer Zukunft nicht tun. Eine Fortdauer der Untersuchungshaft unter solchen Umständen wäre ungerecht und ungerechtfertigt. Ich ersuche Sie daher, den diesbezüglichen Antrag abzulehnen.«
Mrs. Broomfield besprach sich kurz mit ihrem Beisitzer und verkündete dann: »Ich stimme Ihnen zu, Miss Dacre. Der Antrag wird abgelehnt. Aber ich mache Miss Cornelius die Auflage, sich täglich bei der Polizeidienststelle ihres Wohnbezirks zu melden. Sollte sie dies nicht einhalten, so wird die Untersuchungshaft erneut angeordnet. Haben Sie das verstanden, Miss Cornelius?«
Die Beklagte erhob sich.
»Ja, Ma’am«, sagte sie mit leiser, musikalischer Stimme.
Dann wandte sie ihr Gesicht Andy Dalziel zu und schenkte ihm ein herzergreifend dankbares Lächeln, und er merkte plötzlich, daß er wie ein Idiot zurückgrinste.
Vor dem Verhandlungssaal sah Dalziel die beiden dunkelgekleideten Herren ins Gespräch vertieft. Er trat auf sie zu und sagte zu dem dünneren: »Sind Sie nicht Barney Hubbard? Wir haben uns mal auf einer Tagung in Derby getroffen. Sind das eure Jungs, die rauszukriegen versuchen, wie tief Kelly Cornelius die Hand in die Kasse gesteckt hat?«
Seine Stimme hallte durch den belebten Vorraum.
»Ja, Mr. Dalziel«, antwortete Hubbard, deutlich leiser. »Und es wäre uns sehr recht gewesen, wenn die junge Dame noch ein wenig länger in Untersuchungshaft geblieben wäre. Welcher Teufel hat Sie da drin geritten? Wo ist Chief Inspector Pascoe?«
»Wurde aufgehalten, so daß ich in letzter Minute für ihn einspringen mußte. Tut mir leid, wenn ich nicht ganz auf dem laufenden war, aber in Erfahrung zu bringen, um was es hier eigentlich geht, ist fast so schwierig, wie rauszukriegen, wer wirklich Kennedy ermordet hat. Oh, kenne ich nicht auch Ihren Freund?«
Der etwas Dickere war ein wenig beiseite getreten. Nun, als Dalziel ihn anstrahlte, meinte er: »Nein, ich glaube nicht, daß wir uns schon einmal begegnet sind. Hubbard, wir müssen los.«
Der dünne Anzugträger warf Dalziel einen Blick zu, in dem zugleich ein Vorwurf und eine Drohung lag, worauf sich die beiden entfernten.
Der Dicke ließ sie zwei oder drei Schritte gehen, dann rief er ihnen hinterher: »Jetzt weiß ich wieder. Waren Sie nicht mit diesem komischen Kauz zusammen, Pimpernel,’tschuldigung, ich meine Sempernel? Ja, genau. Hab Sie gar nicht erkannt, so ohne Mantel und Degen. Wie geht’s denn dem alten Gawain? Wühlt er sich immer noch durch die Mülltonnen, um für uns die Demokratie zu schützen?«
Die Anzugträger verlangsamten einen Moment ihren Schritt, um ihn gleich darauf, ohne daß sie sich umgedreht hätten, zu beschleunigen.
»Na, grüßen Sie ihn jedenfalls von mir«, rief ihnen Dalziel nach, als sie durch die Tür verschwanden.
Dann lächelte er wohlwollend in die lauschende Runde, wie ein Papst nach einer gelungenen Ketzerverbrennung, und sagte: »Immer nett, alte Freunde zu treffen, nicht wahr? Aber ich kann mich hier nicht den ganzen Tag vergnügen, wenn es so viel Arbeit gibt.« Damit trat er hinaus in den Sonnenschein und machte sich auf den Weg
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