Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
du nicht gerade noch ein Glas Wasser?«
Valerie machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein, nein, schon gut, ich habe gar keinen Durst mehr.« Mit einem Seitenblick beobachtete sie, dass Rosa immer noch wie angewurzelt dastand.
»Wie du meinst«, entgegnete Ethan. Mitleidslos stellte sie fest, dass sie am heutigen Tag noch eine weitere, ihr bislang unbekannte Seite Ethans erleben durfte: Ihr angehender Verlobter wirkte unsicher. Seine Augen flackerten, und seine Hände hatte er zu Fäusten geballt.
Trotzdem bereute sie nicht, dass sie den Köder ausgeworfen und nun den Fisch an der Angel hatte, wenngleich sie sich lebhaft vorstellen konnte, wie Rosa, kaum dass sie verschwunden war, ihren Geliebten wütend zur Rede stellen würde.
Rosa verließ grußlos den Salon.
Valerie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich muss nach Hause. Meiner Großmutter ging es nicht gut, als ich das Haus verlassen habe.«
»Warte bitte noch einen Moment«, bat Ethan eindringlich. »Ich … also … ich möchte nicht, dass wir … also, ich würde dir das gern vor der Hochzeit sagen … dass ich mit Rosa, ich meine, dass wir beide …«, stammelte er.
»Ich weiß«, stöhnte Valerie. »Nur eines verrate mir: Ist es vorbei?«
»Ja, sicher, es glich ohnehin nie dem, was uns verbindet, also …«
»Ist es vorbei?«
»Ich schwöre es!«
»Gut, dann möchte ich jetzt gehen.«
»Und wann soll ich kommen, um deiner Großmutter einen offiziellen Besuch abzustatten?«
»Ich lasse dir Bescheid geben. Sie fühlte sich wirklich nicht gut. Und ich bin plötzlich ganz unruhig.«
»Soll ich dich nicht doch mit der Kutsche bringen?«
Valerie schüttelte energisch den Kopf.
In der Haustür wollte Ethan ihr noch einen Abschiedskuss geben, doch Valerie wandte sich rechtzeitig ab.
Ethan seufzte. »Du bist mir jetzt böse, nicht wahr?«
»Nein, nein, es ist nur alles ein wenig viel für mich.«
Ethan packte Valerie bei den Schultern. »Willst du immer noch meine Frau werden? Sei ehrlich! Wenn du einen Rückzieher machen willst, weil du nun weißt, dass ich …«
»Du hast mir geschworen, dass es vorbei ist. Und allein das zählt!«, unterbrach Valerie ihn. Zur Bekräftigung ihrer Worte gab sie ihm einen Kuss auf den Mund.
»Ich liebe dich«, flüsterte Ethan.
Valerie spürte, wie sie von einer weichen, warmen Welle der Zuneigung für Ethan erfasst wurde. Sie nahm sich vor, nie wieder an James zu denken. Und schreiben würde sie ihm auch nicht! Was ging sie dieser Feigling überhaupt noch an? Sie hatte doch einen viel besseren Mann gefunden. Sie wollte ihn gar nicht mehr, diesen Vertreter der sogenannten feinen Gesellschaft, der seine Seele für das verkaufte, was gewisse Leute als vornehm und konform erachteten. Nein, ein Mann aus Fleisch und Blut, der Schwächen hatte und dazu stand, der berührte ihr Herz. In diesem Augenblick hätte Valerie ihre Hand dafür ins Feuer gelegt, dass sie Ethan Brown blindlings vertrauen konnte. Genauso wie sie der festen Überzeugung war, James Fuller endgültig aus ihrem Herzen vertrieben zu haben.
14
Montego Bay, Juni 1883
V alerie machte auf dem Rückweg einen Umweg am Strand entlang. Sie war zwar weiterhin besorgt wegen ihrer Großmutter, entschied sich aber dafür, der alten Dame noch etwas mehr Zeit zu lassen, da sie sich ja hatte hinlegen wollen. Das smaragdfarbene Wasser und der von weißen Palmen gesäumte endlose Sand ließen sie schließlich ruhiger werden. Was blieb, war ein warmes Gefühl für Ethan. Sie hatte ihn gerade völlig neu kennengelernt. Wenn sie ehrlich war, hatte er ihr schon auch auf den ersten Blick gefallen, aber an diesem Tag hatte er in ihren Augen an Persönlichkeit gewonnen. Und die Tatsache, dass er mit der schönen Rosa das Bett geteilt hatte, machte ihn nicht uninteressanter … Ihre Gedanken blieben bei der Haushaltshilfe hängen. Sie konnte sich nicht helfen, aber diese Frau umgab etwas Geheimnisvolles, das Valerie nur allzu gern ergründen wollte. Aber konnte sie nach der Hochzeit wirklich in ihrem Haus bleiben? Nein, wir können so nicht unter einem Dach leben, entschied Valerie, aber sie rauszuwerfen schien auch keine gute Lösung. Da fiel ihr ein, dass Rosa ja die Haushaltshilfe des alten Doktors war und er ihnen seine Perle ohnehin nicht mitgeben würde. Überhaupt, wo würden sie leben? Bestimmt nicht mit dem alten Doc in dem kleinen Häuschen. Vielleicht mit Großmutter unter einem Dach im Haus über der Bucht? Wo sie doch so erpicht darauf war, dass
Weitere Kostenlose Bücher