Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Sachen James verzichten kannst. Dabei hätten deine Chancen jetzt besser gestanden denn je. Er hat seine Verlobung mit Mary Tenson gelöst.«
»Mag sein, aber das interessiert mich nicht mehr.« Valerie hoffte, dass Cecily das verräterische Beben in ihrer Stimme überhört hatte. »Aber lass uns nicht mehr von mir reden. Sag mir lieber, wie du dir die Zukunft mit Gerald Franklin vorstellst?«
»Mir fehlt der Mut, obwohl ich ihn rasend liebe. Ich befürchte, ich werde eines Tages diesen todlangweiligen Ben Hunter heiraten, den Mutter mir ausgesucht hat.«
»Wenn du so glücklich wirst«, entgegnete Valerie kühl.
»Natürlich nicht! Aber wie sagt Mutter immer? Liebe vergeht, aber der gesellschaftliche Verlust durch eine nicht standesgemäße Ehe bleibt! Ich meine, Gerald hat kein Vermögen. Das würden meine Eltern niemals gutheißen. Und dann gibt es da noch etwas …« Sie stockte, stieß einen tiefen Seufzer aus und senkte die Stimme. »Ach, ich weiß gar nicht, ob ich dir das sagen soll. Aber es handelt sich um ein unüberwindbares Hindernis. Mutter wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um mich davon abzubringen …« Sie räusperte sich ein paarmal, bevor sie gequält hervorstieß: »Er stammt von den Maroons ab!«
»Und?«
»Was heißt da und? Weißt du denn nicht, was das bedeutet? Gerald ist ein Mulatte, auch wenn man es auf den ersten Blick gar nicht sieht. Und du weißt, wie empfindlich Mutter darauf reagiert.«
»O ja, das weiß ich allerdings, und deshalb wird sie sich sicher freuen, dass ihrem James keine Gefahr mehr droht von einem Mischlingsmädchen wie mir.«
»Vally, hör auf damit! Ich weiß ja, dass ich mich nicht richtig verhalten habe, als Mutter diese schrecklichen Gerüchte über dich in die Welt gesetzt hat. Aber bitte räche dich nicht an mir. Der Gedanke, Gerald aufgeben zu müssen, bricht mir das Herz.«
»Deine Mutter hat keinen Unsinn verbreitet: In meinen Adern fließt schwarzes Blut. Ich weiß zwar nicht, warum und wieso. Bisher hat mich keiner über die Ursachen aufgeklärt, aber ich bin nicht bereit, mich deswegen zu verstecken und schlecht zu fühlen. Wir leben nicht mehr in der Sklavenzeit. Was meinst du, wie viele Mischlinge unter uns leben, von denen nur niemand weiß. Das ist wahrlich kein Grund, auf deine große Liebe zu verzichten. Sei doch nicht so feige wie dein Bruder …« Valerie unterbrach sich.
»Was willst du damit sagen?«
»Ich habe es mit eigenen Ohren gehört. Sollte Valerie Sullivan ein Mischling sein, so schwor dein Bruder Mary Tenson, werde ich sie nicht zur Frau nehmen, sondern dich!«
»Aber er hat die Verlobung gelöst!«
»Wahrscheinlich ist er so überzeugt davon, dass durch meine Adern kein Tropfen schwarzen Blutes fließt, dass er es deshalb riskiert hat. Aber bitte tu mir einen Gefallen: Sag ihm, dass Valerie Sullivan ein Mischling ist und er ein verdammter Feigling!«
Cecily stand einen Augenblick wie betäubt da, bevor sie die Freundin überschwänglich umarmte und sich auf ihr Pferd schwang. »Ich werde meinem Herzen folgen«, rief Cecily kämpferisch aus und stob davon.
Valerie war unwohl zumute. Was, wenn die Freundin auf ihren Rat hin eine Dummheit begehen würde? Völlig aufgewühlt setzte sie ihren Weg fort. Dabei waren ihre Gedanken von James beherrscht. Warum hatte er die Verlobung mit Mary Tenson gelöst? Hatte er deshalb so dringend mit ihr reden wollen?
Doch wie sie es auch drehte und wendete. Es änderte nichts daran, dass er im Leben keine Mulattin zur Frau nehmen würde.
Verdammt, ich muss mir endlich diesen Kerl aus dem Kopf schlagen, ermahnte sie sich und versuchte, sich auf Ethan zu konzentrieren, an seine Küsse zu denken … Sie war jetzt vom Strand abgebogen und hatte den Weg durch den Palmenwald eingeschlagen.
Schon von Weitem sah sie das vertraute Haus auf dem Hügel. Ob Großmutter wieder in ihrem Zimmer sitzt und Ausschau nach mir hält, fragte sie sich gerade, als ihr eine Kutsche entgegenkam. Valerie erkannte Jerome, dessen sorgenvolle Miene nichts Gutes verhieß.
»Miss Sullivan, schnell, steigen Sie ein. Ihre Großmutter …«
»Was ist geschehen?«, keuchte Valerie.
»Sie ist auf der Kellertreppe gestürzt und … der junge Doktor ist gerade bei ihr.«
»Kellertreppe?«, wiederholte sie ungläubig, während sie in die Kutsche stieg. Kellertreppe? Sie hatte bis zu diesem Moment nicht einmal geahnt, dass das Haus überhaupt einen Keller besaß. Allerdings hatte sie sich auch nie dafür
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