Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
interessiert, was sich unter der großen Eingangshalle befand.
Sie zitterte am ganzen Körper, als die Kutsche vor dem Portal von Sullivan-House hielt. Asha kam ihr bereits mit ausgebreiteten Armen und laut jammernd entgegengelaufen.
»Wie geht es ihr?«, fragte Valerie angsterfüllt.
»Sie ruft nach Ihnen. Kommen Sie schnell! Der junge Doc ist schon bei ihr.«
»Was ist geschehen? Jerome hat etwas über einen Keller erzählt. Ich wusste gar nicht, dass wir einen haben.«
»Keiner wusste davon. Die Klappe kann man nur öffnen, wenn man am Treppenpfeiler dreht. Sie muss auf dem Rückweg gewesen sein, denn die Tür unten war schon wieder abgeschlossen, und es war kein Schlüssel zu finden.«
Valerie traf atemlos im Schlafzimmer ihrer Großmutter ein. Als Erstes begegnete sie Ethans besorgtem Blick.
»Wo warst du bloß so lange?«, entfuhr es ihm. »Jerome holte mich, kurz nachdem du fort warst. Er hat dich schon überall gesucht. Wo hast du dich bloß herumgetrieben?«
Valerie stutzte. Was war das für ein Ton? Weder besorgt noch liebevoll, sondern beinahe harsch. Sie wandte sich ab. Der Mann, der ihr eben noch so vertraut gewesen war, erschien ihr plötzlich fern und fremd.
»Ich habe den Weg am Strand entlang genommen«, erwiderte sie rasch, bevor sie zum Bett ihrer Großmutter stürzte.
Hanne hatte die Augen geschlossen. Sie sah aus, als wäre sie im Tiefschlaf. Valerie zuckte zusammen. Sie war nicht etwa tot?
In dem Moment, als Valerie die Hand der alten Dame ergriff, schlug Hanne die Augen auf.
»Da bist du ja endlich!« Ihre Stimme klang schwach.
»Ja, Grandma, und nun weiche ich nicht mehr von deiner Seite. Was machst du bloß für Sachen?«
»Ach, ich wollte ihn noch einmal sehen«, seufzte Hanne. »Ich habe befürchtet, es ginge mit mir zu Ende, und da musste ich noch einmal zu ihm.«
Valerie verkniff sich jede Frage, um ihre Großmutter nicht unnötig aufzuregen.
»Alles wird gut«, raunte sie. »Du wirst noch lange nicht sterben.«
Hanne schenkte ihrer Enkelin einen dankbaren Blick, dann blieben ihre Augen an Ethan hängen.
»Kommen Sie näher, Doktor«, bat Hanne. Und nachdem er ihrer Bitte gefolgt war, sah sie von ihm zu ihrer Enkelin. Aus ihren Augen sprach die blanke Neugier.
»Und? Wie war der Nachmittag?«
Über Valeries besorgte Miene huschte ein Lächeln. Wenn Grandma solche Fragen stellte, dann konnte sie nicht allzu ernsthaft verletzt sein, redete sie sich gut zu.
»Ich bin in einen Regenguss geraten«, erwiderte sie rasch, denn ihr stand nicht der Sinn danach, ihrer Großmutter in dieser Lage von dem Heiratsantrag zu berichten.
Hanne runzelte die Stirn. Das Wetter schien sie herzlich wenig zu interessieren. Valerie wollte ihr gerade erklären, dass sie ihr alles in Ruhe beim nächsten gemeinsamen Essen berichten würde, als sich Ethan zwischen Hanna und sie schob. Valerie musste sogar ihre Hand loslassen.
»Misses Sullivan, darf ich hiermit um die Hand Ihrer Enkelin anhalten?«
Zunächst herrschte Schweigen, dann fragte Grandma hocherfreut. »Vally, komm her, mein Kind. Was sagst du dazu? Ethan will dich zur Frau nehmen!«
»Valerie, ich frage dich noch einmal: Möchtest du meine Frau werden?«, wiederholte Ethan ungeduldig.
Valerie wurde zunehmend unwohl. »Ich glaube, wir sollten später darüber reden. Wenn Grandma wieder auf den Beinen ist. Ich denke, sie braucht jetzt ihre Ruhe«, sagte sie steif.
»Das sehe ich anders«, widersprach ihr Ethan energisch. »Ich finde, es gibt keinen besseren Zeitpunkt, als unsere Absicht im Beisein deiner Großmutter zu erklären, und zwar hier und heute!«
Valerie sah ihn verwundert an. »Natürlich möchte ich das mit Grandma besprechen, aber ich glaube, sie sollte erst einmal schlafen. Schau nur, wie müde sie aussieht.«
Ethan durchbohrte sie förmlich mit seinem Blick. Valerie konnte den Ausdruck seiner Augen nicht deuten. Er hatte etwas Warnendes an sich. Als wollte er ihr etwas erklären. Sie aber verstand seine stumme Botschaft nicht. Valerie spürte nur eines: Den starken Widerstand, ihr »Ja« zu seinem Heiratsantrag zu wiederholen. Und plötzlich wusste sie, warum. Sie musste vorher noch einmal mit James sprechen. Ihr wurde schwindlig bei dieser Erkenntnis, aber sie konnte es nicht ändern. Dieses Bedürfnis entsprang den Tiefen ihres Herzens. Auch wenn alle Vernunft in ihr dagegen rebellierte. Sie würde sich vor ihrer Verlobung ein allerletztes Mal mit James Fuller treffen … Hannes Stimme riss sie aus ihren
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