Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Gedanken.
»Vally, ich bin ganz und gar nicht zu müde, um zu erfahren, wie deine Antwort lautet. Ethan hat dich etwas gefragt. Danach kann ich lang genug schlafen. Bitte.«
Hannes Worte hatten etwas Flehendes an sich. Etwas, dem Valerie sich nicht zu widersetzen wagte.
»Grandma, ich habe es ihm schon gesagt. Ich werde Ethan heiraten.«
Ein Strahlen ging über Hannes Gesicht. Valerie hatte das Gefühl, die Sonne ginge auf. Alle Falten verschwanden wie von Zauberhand, und Hanne sah aus wie ein junges Mädchen.
»Liebst du ihn von Herzen?«, fragte sie, während sich ihre Augen mit Tränen füllten.
»Ja, Grandma, ja, natürlich!«, versicherte Valerie ihrer Großmutter. Als Ethan nun nach ihrer Hand griff, fühlte sie es auch wieder. Ja, er war der Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. James war doch nur ein Gespenst der Vergangenheit, das es noch zu verscheuchen galt. Und dazu musste sie ihm noch einmal Auge in Auge gegenüberstehen. Sie wollte das Entsetzen in seinem Blick sehen, wenn sie ihm verkündete, dass sie ein Mischling war. Wenn sie das nicht tat, dann würde er weiter durch ihre Gedanken geistern und sie nie frei werden.
»Ach, ihr macht mich unendlich glücklich«, seufzte Hanne. »Zu wissen, dass du, liebste Vally, einen guten Mann an deiner Seite hast bei allem, was nun auf dich zukommen wird …« Ein Hustenanfall unterbrach sie.
Valerie zuckte zusammen. Was redete ihre Großmutter denn da bloß? Das hörte sich ja an, als würde sie …
Plötzlich war alles still. Über Hannes Gesicht huschte ein seliges Lächeln. »Ich komme, mein Liebling … ich sehe dich schon«, flüsterte sie und streckte ihre Hand aus, als wolle sie jemanden berühren. »Mein Lieb-«, krächzte Hanne, bevor ihr Kopf leblos zur Seite fiel.
Als Valerie begriff, dass ihre geliebte Grandma tot war, warf sie sich laut schreiend über sie. »Nein, das darfst du nicht. Du darfst mich nicht verlassen«, wiederholte sie so lange, bis Ethan sie an den Schultern packte. Valerie fuhr herum wie der Blitz. »Das kann gar nicht sein. Sie war eben doch noch ganz munter«, schluchzte sie.
»Das täuschte. Sie hat bei ihrem Sturz schwere innere Verletzungen erlitten.«
Valerie sprang auf und hämmerte mit ihren Fäusten auf Ethans Brust ein. »Du hast es die ganze Zeit gewusst?«, brüllte sie.
»Sagen wir so. Ich habe es befürchtet.«
Valerie ließ von ihm ab.
»Und sie? Hat sie es auch geahnt?«
Statt ihr eine Antwort zu geben, fasste er in seine Jackentasche und holte einen Schlüssel hervor.
»Sie hat ihn mir gegeben mit der Bitte, ihn dir auszuhändigen. Er ist für den Keller. Außerdem hat sie mich gebeten, dir zu sagen, du sollst dich mit allen Fragen bezüglich der Rumherstellung an Gerald Franklin wenden und mit allen geschäftlichen Dingen an Mister Kilridge. Und …« Er senkte die Stimme. »… Ich soll dir ausrichten, dass sie gut verstehen könnte, wenn du ihr Tagebuch vernichtest, ohne es zu lesen. Aber sie glaubt, du würdest sie besser verstehen, wenn du alles über ihr Leben wüsstest. Dann hat sie mich noch ermahnt, immer gut zu dir zu sein, aber das …« Er sah Valerie, die leise schluchzte, voller Liebe an. »Das musste sie mir nicht sagen. Das ist eine Selbstverständlichkeit.«
»Ich möchte in diesem Haus leben und nirgendwo anders«, erwiderte Valerie, ohne auf seine Worte einzugehen. Sie nahm den Schlüssel und legte ihn auf dem Nachttisch ab.
»Gern. Gleich nach der Hochzeit ziehe ich hier ein«, erwiderte Ethan hastig.
»Gut, aber ich muss dir noch eines gestehen: Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich ein Geheimnis vor dir verberge. Und es gibt etwas, das ich noch tun muss, es aber nicht hinter deinem Rücken machen will.«
»Bitte, du kannst mir alles sagen!«
Valerie holte noch einmal tief Luft, bevor sie heftig hervorstieß: »Ich werde James Fuller treffen und ihm ins Gesicht sagen, dass die Gerüchte seiner Mutter der Wahrheit entsprechen.«
»Wieso das? Du hast mir versprochen, ihn nicht mehr zu treffen!«
»Ich weiß, aber ich muss es tun, damit ich ihn, ich meine, damit er …«
»Er spukt also immer noch in deinem Kopf herum?«
»Nein, natürlich nicht!«, log Valerie. »Ich denke nur, ich finde, es ist besser, wenn er von meiner Herkunft erfährt, ich meine, wenn er …«
»Nein!«, unterbrach Ethan ihr Gestammel in scharfem Ton. »Ich erlaube es dir nicht! Du wirst den Kerl nicht mehr sehen, aber wenn es dir so wichtig ist, dass er die Wahrheit erfährt, dann
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