Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
ist.«
Heinrich wurde wieder ernst. »Nein, nein, das war nur ein Scherz. Es gibt zweierlei Gründe: Lene hat, wenn ich zurück bin, bereits über ein halbes Jahr getrauert und würde uns nie verzeihen, dass wir sie nicht eingeweiht haben. Und sie kann tatsächlich nicht gut schwindeln. Wenn unser Polizeidirektor sie richtig in die Mangel nehmen würde, bestünde die Gefahr, dass sie es ausplaudert. Das Geheimnis sollte unter uns beiden bleiben, bis ich dich nächstes Jahr mit zurück in die Heimat nehme.«
Ich verspürte den Drang, Heinrich zum Abschied anzuvertrauen, dass der Koch ebenfalls Bescheid wusste. »Unter uns dreien«, bemerkte ich deswegen kleinlaut.
»Was? Wer ist der Dritte?«
»Ole weiß, wer ich bin und warum ich in Frederiksted von Bord gehen musste.«
»Musste das sein?«
Ich zuckte die Achseln. »Es hat sich so ergeben.«
»Na, was soll’s? Ole wird schweigen wie ein Grab«, knurrte Heinrich.
»Das hat er mir wortwörtlich geschworen. Und er hat mich vor Jakob Hensen gewarnt, obwohl ich ihm die Sache mit dem unterschlagenen Brief verschwiegen habe. Aber er hat beobachtet, wie er und dieser Jasper unten am Kai die Köpfe zusammengesteckt haben. Nimm dich also in Acht vor diesem Matrosen!«
»Und du dich vor Jakob Hensen. Am besten bleibst du in Frederiksted und meidest Christiansted.«
»Ja, ich passe auf mich auf. Aber jetzt müssen wir auseinandergehen. Was, wenn jemand beobachtet, wie wir hier die ganze Zeit plaudern.«
»Lass dich noch einmal drücken«, stieß Heinrich heiser hervor. Ich presste mich an seine breite Seemannsbrust und ließ meinen Tränen freien Lauf.
»Nächstes Jahr sehen wir uns wieder«, sagte Heinrich leise, aber das konnte mich nicht trösten. In diesem Moment fühlte ich den geballten Schmerz, den ich in den letzten Monaten erlitten hatte, so intensiv, dass ich gar nicht anders konnte, als laut zu schluchzen.
Heinrich strich mir nur stumm übers Haar. Die Vorstellung, dass nach Vater und Pit nun auch mein Schwager mich verlassen würde, ließ mich gar nicht mehr aufhören.
Schließlich hatte ich keine Tränen mehr und hob den Kopf. Aus verheulten Augen blickte ich Heinrich an, strich ihm flüchtig über die Wange und murmelte: »Danke für alles!«
Dann machte ich mich schnellen Schrittes in eine ungewisse Zukunft auf, ohne mich noch einmal umzudrehen.
17
Frederiksted, März 1832
D ie Zeit vergeht wie im Fluge. Wenn ich mir vorstelle, dass ich inzwischen schon vier Wochen auf der Insel bin …
Saint Croix ist ein Paradies, und ich hatte unendlich viel Glück. Ich sollte eher sagen: Glück im Unglück, denn das, was mir bereits am ersten Tag in meiner neuen Heimat widerfahren ist, spottet jeder Beschreibung. Aber es fing vielversprechend an.
Ich war kaum im Ort angekommen, da sprach mich eine junge dunkelhäutige Frau in einem bunten Kleid, das sehr viel Haut zeigte, an. Ich hatte noch nie zuvor eine Schwarze gesehen und stierte sie fasziniert an. Sie war wunderschön. Ich kam mir in meinem schweren Winterstoff völlig deplatziert vor. Sie redete jedenfalls ohne Punkt und Komma auf mich ein. Leider konnte ich kein Wort verstehen, weil sie Englisch sprach. Ich wusste, wie sich die Sprache anhört, aber ich konnte sie weder verstehen noch sprechen. Hier sind übrigens viel mehr Engländer und Holländer als Dänen und Deutsche. Aber alles der Reihe nach.
Es kam also ein Fremder hinzu, der die Frau verstand und mir übersetzte, was sie von mir wollte. Die Schwarze wollte wissen, ob ich ein Zimmer bräuchte, denn im Haus ihres Herrn wäre gerade eines frei geworden. Wir wurden uns schnell einig mit dem Preis, und ich folgte ihr. Vor der Tür eines prächtigen Hauses, das unverkennbar aus gelben Flensburger Ziegeln gebaut war, blieb sie stehen und hielt die Hand auf. Sie wollte die erste Miete sofort. Das machte sie mir mit Händen und Füßen mehr als deutlich. Es war mir nicht recht, vor einer Wildfremden mein Bündel Geld hervorzuholen und einen Schein herauszuziehen, aber ich hatte keine andere Wahl. Dabei entging mir nicht ihr gieriger Blick auf meine Hand. Mir war ein wenig merkwürdig zumute, als ich ihr in das obere Stockwerk eines Hauses folgte, aber die Sehnsucht nach einem richtigen Bett war stärker als alles andere. Ich hatte gerade meine Sachen abgestellt, da rauschte eine ältere Dame ins Zimmer und schimpfte auf die Schwarze ein. Ich verstand kein Wort, aber die Gescholtene verließ mit gesenktem Kopf das Zimmer.
»Was tun Sie da?«,
Weitere Kostenlose Bücher