Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Feixen zum Ausdruck bringen wollten.« Seit ich Köchin geworden war, siezte sie mich wieder. Obwohl sie immer noch meine Englischlehrerin war, sprachen wir nur Deutsch miteinander.
»Nein, um Himmels willen, das habe ich nicht einmal zu denken gewagt«, versuchte ich einzulenken. Es nützte nichts. Die Dame war sehr empfindlich und rauschte beleidigt von dannen.
»Ihnen werde ich noch mal was erzählen!«, hörte ich sie schimpfen, als sie um die Ecke bog. Ich blickte ihr kopfschüttelnd hinterher. So so, ging es mir durch den Kopf, der Herr will also ins Rumgeschäft einsteigen. Ich verschwand fröhlich summend in meinem Zimmer, denn für heute hatte ich meine Arbeit getan. Und ich liebte es, bei Sonnenuntergang zum Strand hinunterzugehen und in der nur kurz andauernden Dämmerung einen Spaziergang zu unternehmen. Niemals zuvor hatte ich einen derart farbenprächtigen Himmel gesehen. Mal war der Himmel in gelbes Licht getaucht, mal strahlte er in allen denkbaren Rosétönen. Zum Abschluss nahm ich meist ein Bad im warmen Meer. Dort, wo kein Mensch mich sehen und ich nackt ins Wasser springen konnte. Auch wenn es nicht die Ostsee war, erfrischend waren diese abendlichen Bäder allemal. Ich schwelgte bereits in den Wonnen der Vorfreude, als es an meiner Tür klopfte.
Ich vermutete, dass Miss Leyland noch eine Spitze loswerden wollte, und rief vergnügt: »Kommen Sie nur rein, Misses Leyland!«
Ich drehte mich nicht einmal um, als ich die Tür klappen hörte, weil ich gerade dabei war, in mein Freizeitkleid zu schlüpfen.
»O Verzeihung, Misses Brodersen, ich ahnte ja nicht, dass Sie gerade …« Mister Sullivan unterbrach sich verlegen. »Ich warte draußen!«, ergänzte er hastig und zog sich in den Flur zurück.
Was will er um diese Zeit von mir, dachte ich unwirsch, ich habe heute genug gearbeitet. Und wenn ich den Sonnenuntergang sehen wollte, dann musste ich mich sputen. Ich beeilte mich. Er stand vor der Tür und wartete tatsächlich.
Unwillig fragte ich ihn: »Was gibt es?«
»Ich muss ein großes Essen mit Ihnen besprechen«, erwiderte er, und es war ihm anzumerken, dass ihm die späte Störung auch nicht angenehm war.
»Muss das heute sein?«
Er nickte. »Morgen kommen wichtige potenzielle Geschäftspartner aus Christiansted. Und der Erfolg des Geschäfts hängt davon ab, wie es morgen läuft.« Er sah mich bittend an.
Ich blieb unschlüssig stehen und überlegte. Abschlagen konnte ich den Wunsch nach einer Vorbesprechung nicht, aber wollte ich deshalb auf den Sonnenuntergang verzichten? Mir kam ein verwegener Gedanke.
»Ich leihe Ihnen mein Ohr, wenn Sie mich zum Strand begleiten. Wissen Sie, es ist mir wichtig, den Sonnenuntergang zu sehen, wenn ich schon einmal so früh fertig bin wie an diesem Tag. Ob Sie vielleicht, ich meine, ob wir vielleicht …«
Mister Sullivan lächelte und bot mir seinen Arm. »Natürlich können wir am Strand darüber reden. Es tut mir auch leid, Sie nach getaner Arbeit noch zu belästigen, aber das ging jetzt alles so schnell. Ich bekam erst heute den Brief, dass die Herrschaften aus Christiansted meiner Einladung Folge leisten. Und die Herren haben morgen in Frederiksted zu tun.«
Gerade dachte ich, es wäre nicht günstig, wenn wir Misses Leyland begegnen würden, da stand sie bereits vor uns. Wenn Blicke töten könnten, dachte ich, doch Mister Sullivan schien gar nichts zu bemerken.
»Waren die Damen zum Unterricht verabredet?«, fragte er unbeschwert und fügte beredt hinzu: »Das tut mir leid, Misses Leyland, einmal abgesehen davon, dass Misses Brodersen das gar nicht mehr nötig hat, muss ich Sie Ihnen leider entführen. Es ist ein bezaubernder Sonnenuntergang zu erwarten.«
Misses Leyland fiel förmlich der Kiefer herunter. Und ich war in der Zwickmühle. Ich konnte ja schlecht richtigstellen, dass Mister Sullivan nur einen Scherz und mir keinesfalls den Hof machte. Ihr Blick sprach jedenfalls Bände.
Am liebsten hätte ich gesagt: Es ist nicht so, wie Sie denken!, doch ich zog es vor zu schweigen. Ich fühlte die bohrenden Blicke von Misses Leyland im Rücken, als wir Arm in Arm in Richtung Haustür an ihr vorüberschlenderten.
Mister Sullivan nahm seinen Arm auch nicht fort, als wir durch den Ort gingen. Anscheinend fragte er sich nicht, was die Leute denken sollten. Im Gegenteil, er grüßte freundlich, weil er jedermann in der Stadt kannte, und schien nicht zu bemerken, wie uns alle Passanten verwundert anstarrten.
Zu meiner Freude schafften wir
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