Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
ganz wegzusehen. Und das, was mein Blick erfasste, ließ sich durchaus sehen. Er besaß einen wohlgeformten Körper.
»Sie können sich wieder umdrehen, Anne«, lachte er, weil er vermutete, ich hätte mich damenhaft umgewandt. »Ach, das war herrlich. Das könnten wir öfter machen.«
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, wenn Sie mit Ihrer Köchin nackt baden«, entgegnete ich steif.
Er aber sah mich treuherzig an. »Ach, Anne, Sie wissen doch genau, dass ich inzwischen mehr als an Ihren bloßen Kochkünsten Gefallen gefunden habe«, lachte er. »Und außerdem sind Sie eine Reederstochter, die nur Pech im Leben gehabt hat.«
Wenn das auch keine romantische Liebeserklärung gewesen war, so drückte er damit zumindest offenkundiges Interesse an mir als Frau aus. Also hatte Misses Sullivan recht gehabt! Mich fröstelte. Und ich nahm mir vor, ihm in Zukunft wieder aus dem Weg zu gehen. Es war keine gute Idee gewesen, ihn zu einem Strandspaziergang mitzunehmen! Denn selbst, wenn ich seine Gefühle erwidern würde, was ich mir in diesem Moment nicht vorstellen konnte, mein ganzes Trachten war doch auf die baldige Heimkehr nach Flensburg gerichtet.
»Ich denke, wir sollten den Rückweg antreten. Es ist schon dunkel«, sagte ich rasch.
»Aber sehen Sie, der Mond weist uns den Weg. Und ich bin in Ihrer Nähe. Es kann Ihnen gar nichts zustoßen. Kein entlaufener Sklave würde es wagen, uns anzugreifen.«
»Ich habe keine Angst vor entlaufenen Sklaven«, erwiderte ich schroff.
Schweigend kehrten wir zum Haus zurück. Als wir die Tür erreichten, verabschiedete ich mich knapp und versicherte, ich werde am nächsten Tag mein Bestes tun, bevor ich die Treppe hinaufstürzte. Ich wusste, dass seine Räume im unteren Stockwerk lagen und er keinen vernünftigen Grund haben würde, mir nach oben zu folgen. Vor meiner Tür blieb ich keuchend stehen. Wieder ein Mann, der mir Avancen machte, auf die ich um keinen Preis eingehen wollte.
»Sie sind mir ja ein verlogenes Frauenzimmer«, raunte da jemand hinter mir.
»Misses Leyland, Sie haben mich zu Tode erschreckt!«, gab ich wütend zurück. »Wie kommen Sie dazu, sich auf dem düsteren Flur von hinten anzuschleichen?«
»Im Anschleichen sind Sie doch Meisterin. Aber es gibt Schlimmeres, als wenn Sie meine Herrin werden.«
»Reden Sie keinen Blödsinn!«, fuhr ich die Haushälterin an. »Mister Sullivan hat mit mir nur ein Essen geplant. Er bekommt morgen wichtigen Geschäftsbesuch. Aber das wissen Sie ja bereits. Es muss alles gut gehen. Und Sie und ich werden servieren.«
»Wieso sagt er das Ihnen und nicht zuerst mir?«, knurrte Misses Leyland.
»Jetzt wissen Sie es ja«, konterte ich nicht minder bissig und verschwand in meinem Zimmer. Kaum hatte ich Misses Leyland die Tür vor der Nase zugeschlagen, fragte ich mich, warum ich so wütend wurde. Ich konnte auf die Anschuldigungen der Dame doch mit dem mir eigenen Humor reagieren – oder war etwas mehr dran, als ich zugeben wollte? Mich erinnerte das Ganze fatal an meine widerstreitenden Gefühle, die ich Pit entgegengebracht hatte. Aber das ist doch nicht zu vergleichen, ermahnte ich mich streng und ließ mich auf mein Bett fallen. Ich war so müde, dass ich gar nicht mehr dazu kam, mir großartig Gedanken zu machen.
Ich wachte mit einem Lächeln im Gesicht auf. Lange hatte ich nicht mehr so schön geträumt. Mich hatte ein Mann zärtlich geküsst, und ich hatte seinen Kuss leidenschaftlich erwidert. Das war ein unendlich süßer Kuss gewesen. Ich räkelte mich zufrieden und ließ die Augen geschlossen. Ich wollte mir diesen Traum noch einmal in allen Einzelheiten in Erinnerung rufen. Das Gesicht des Mannes hatte ich nur verschwommen wahrgenommen, aber plötzlich bekam es Züge. Ich schoss hoch. Es war das Gesicht von Mister Sullivan!
Eilig hüpfte ich aus dem Bett und tauchte mein Gesicht in die Waschschüssel, die auf der Kommode stand. Das Wasser war warm, was mich heute Morgen besonders ärgerte. Wie ich mich nach einem Krug mit Flensburger Eiswasser sehnte!
Ich zog mich aus und wusch mich. An den Traum wollte ich nicht mehr denken. Mir blieb an diesem Tag auch gar keine Zeit, Traumgespinsten nachzujagen, denn es gab viel zu tun. Ich musste eine Einkaufsliste erstellen, auf den Markt gehen und Misses Leyland mitteilen, wie sie die Tafel decken sollte.
Nafia war beleidigt, als ich ihr schonend beibrachte, dass ich servieren würde. Bis ich ihr den wahren Grund verriet.
Den halben Tag schnitten wir
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