Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
es noch rechtzeitig bis zum Sonnenuntergang. Die Sonne schwebte wie ein Feuerball über dem Meer. Ich machte mich von Mister Sullivans Arm los und ließ mich in den warmen weißen Sand fallen. Mister Sullivan zögerte, doch dann tat er es mir gleich.
»So habe ich den Sonnenuntergang noch nie gesehen«, raunte er mir zu. Wir schwiegen, bis der Ball im Meer versunken war.
»Und das machen Sie öfter?«, fragte er interessiert.
»Immer, wenn ich rechtzeitig mit der Arbeit bin. Anschließend laufe ich am Meer entlang, bis ich an der Stelle angelangt bin, an der ich ins Wasser hüpfe.«
»Sie können schwimmen?«
»Ja, Vater hat es mir beigebracht. Er sagte immer, eine Reederstochter muss schwimmen können, selbst, wenn sie niemals auf eines unserer Schiffe …« Erschrocken schlug ich mir die Hand vor den Mund. Ich konnte nur beten, dass er nicht so schnell begriffen hatte, was ich da gerade ausgeplaudert hatte.
Vergeblich, denn da hörte ich ihn bereits ungläubig nachhaken: »Ihr Vater war Reeder?«
»Ja … nein … aber er hat alle seine Schiffe verloren und sein Vermögen auch«, stammelte ich, während mir die Hitze in die Wangen schoss.
Ich traute mich gar nicht, ihn anzusehen, doch als ich einen Seitenblick riskierte, hatte ich eher den Eindruck, er habe keinen Verdacht geschöpft.
»Und in welcher Stadt war das, wenn ich fragen darf? Ich weiß nicht mehr, ob Sie mir das schon einmal erzählt haben.«
Ich überlegte fieberhaft. Hatte ich ihm erzählt, dass ich aus Flensburg stammte? Dann fiel es mir wieder ein. »Wir kommen aus Altona, wie ich Ihnen bereits gesagt habe!«, erwiderte ich rasch und sprang auf. »Ob wir beim Spaziergang über morgen sprechen könnten?«, schlug ich hektisch vor.
»Gern«, erwiderte Mister Sullivan und erhob sich galant aus dem Sand. Ich konnte mir nicht helfen. An diesem magischen Ort, weit weg von seinem Haus mit der Sklavenplantage, gefiel er mir viel besser. Er war einen Kopf größer als ich und sehr schlank, beinahe schlaksig. Gerade, weil ich ihn plötzlich anziehend fand, ignorierte ich den Arm, den er mir reichte. Ich schlenderte lieber mit einem gewissen Abstand neben ihm her. Trotzdem herrschte eine gewisse Spannung zwischen uns.
»Wie viele Gäste erwarten Sie denn?«, brachte ich das Thema auf die Arbeit.
»Es werden an die sechs Personen sein. Ich wünsche von allem, was unsere Küche bietet, etwas. Es soll ein köstliches Menü werden. Servieren Sie eine Suppe, Fisch, Fleisch und ein Dessert. Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.«
Ich stutzte. Das hätte er mir nun aber wirklich in einem Satz auf dem Flur mitteilen können. Dafür machte er so einen Aufstand?
»Kein Problem. Ich werde mich selbst übertreffen«, versprach ich ihm.
»Davon bin ich überzeugt, aber ich habe noch einen Wunsch.«
»Und der wäre?«
»Ich möchte, dass Sie gemeinsam mit Misses Leyland das Essen servieren.«
»Aber ich muss kochen. Das Auftragen ist Nafias Aufgabe.«
Mister Sullivan stieß einen tiefen Seufzer aus. »In diesem Fall sollten Sie es besser übernehmen.«
»Warum? Lehnen Ihre Gäste die Sklaverei vielleicht ab, sodass Sie Ihre Sklaven vor ihnen verstecken müssen?«, rutschte es mir bissig heraus.
Seine Antwort war ein schallendes Gelächter. »Sie werden auf dieser Insel keinen Plantagenbesitzer finden, der die Bestrebungen der Heimatregierungen zur Abschaffung der Sklaverei unterstützt. Weder unsere holländischen Freunde noch meine englischen Landsmänner und auch nicht Ihre, die nicht so einfach auf ihre Sklaven verzichten würden, wenn es Koppenhagen befiehlt. Hier, meine Liebe, ticken die Uhren anders. Wir sind von unseren Arbeitern abhängig.«
»Dazu müssen Sie die armen Menschen ja nicht versklaven. Und Ihnen ihre Würde und ihre Rechte nehmen. Menschen können keinem gehören, hat mein Vater immer gesagt! Lassen Sie die Schwarzen frei, und zahlen Sie ihnen anständige Löhne!« Ich merkte jetzt erst, dass ich ziemlich laut geworden war. Und registrierte, dass wir uns dank meines Mundwerks, das ich einfach nicht halten konnte, mitten in einem Streit befanden. Plötzlich wurde mir klar, dass ich gar kein Recht hatte, Mister Sullivan die Sklaverei vorzuhalten. Arbeiteten nicht auch auf den Plantagen, die uns das Zuckerrohr für den Hensen-Rum lieferten, schwarze Sklaven? Mir wurde bei dem Gedanken regelrecht übel. Das werde ich ändern, wenn ich erst Herrin des Unternehmens bin, dachte ich entschlossen.
»Sie reden von Dingen, von
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