Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Telegrafenamt brachte. Mister Kilridge hatte tatsächlich Wort gehalten und ihr eine Nachricht geschickt. Leider war es keine erfreuliche Mitteilung. Er hatte noch keinen potenziellen Verkäufer einer Plantage ausfindig gemacht.
Als sie in der belebten Straße vor dem Telegrafenamt stand, überlegte sie, ob sie in die Bahn steigen und zurückkehren sollte oder … Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Ob sie James im Kontorhaus der Fullers aufsuchen sollte?
Ja, das wäre das Beste. Damit ersparte sie es sich, ihn nach dem Essen unter einem Vorwand in den Garten locken zu müssen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie am Hafen ausstieg. Es herrschte noch wesentlich mehr Betrieb als in Montego Bay. Und es lagen auch wesentlich mehr Schiffe dort. Valerie sah die endlos wirkende Reihe der Speicher, Schuppen und Kontorhäuser entlang. Wo befand sich das Hauptgeschäftshaus der Fullers? Langsam schlenderte sie am Kai entlang, den Blick immer auf die Schilder gerichtet, die anzeigten, welches Handelshaus hier residierte.
Valerie war so mit der Suche beschäftigt, dass sie gar nicht drauf achtete, wohin sie ging. Das wurde ihr schmerzhaft bewusst, als sie mit jemandem zusammenstieß. Es war eine junge Dame, ähnlich hochgewachsen wie sie, die sie wütend anfunkelte.
»Passen Sie doch auf!«, fauchte sie.
»Verzeihen Sie vielmals. Haben Sie sich wehgetan?«
»Sie sind mir auf den Fuß getreten. Das ist schmerzhaft«, erwiderte die junge Frau vorwurfsvoll.
»Entschuldigen Sie bitte. Ich bin fremd hier und suche ein Geschäftshaus.«
»Schon gut. Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Wen suchen Sie denn?«
»Das Handelshaus Fuller aus Montego Bay. Sie sollen auch hier ein Kontorhaus haben.«
»So so, sollen sie das«, wiederholte die Fremde in merkwürdig gedehntem Ton.
»Können Sie mir sagen, wo ich das Haus finde.«
»Was wollen Sie denn dort?«
Valerie zuckte zusammen. Was war das für eine indiskrete Frage und was für ein Ton erst? Und was bildete sich diese Person ein?
»Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber mit Verlaub, das geht Sie wohl nichts an. Ich erzähle doch nicht jedem Fremden meine Lebensgeschichte«, erklärte Valerie mit Nachdruck.
»Das kann ich gut verstehen«, erwiderte die neugierige Fremde, während der Anflug eines Lächelns ihre schmalen, fast verhärmt wirkenden, Lippen umspielte.
»Ich wäre überaus dankbar, wenn Sie mir behilflich sein könnten«, bat Valerie die Fremde höflich.
»Sie verstehen nicht!« Das Lächeln war aus dem Gesicht der Frau gewichen, und ihre Lippen schienen noch schmaler geworden zu sein. »Ich bin die Verlobte von James Fuller. Und deshalb bin ich durchaus berechtigt, Ihnen diese Frage zu stellen.«
Valerie musste sich beherrschen, um nicht laut aufzuschreien. Diese Person war also Paula Hunter, oder besser Fuller, James Ehefrau … Sie stutzte. Hatte die Frau nicht eben selbst gesagt, er wäre ihr Verlobter … Dann hatte es wohl doch keine Doppelhochzeit gegeben. Nun, wie dem auch sei, früher oder später wird er diese Frau heiraten. Valeries Knie wurden weich. Sie würde sich jetzt gern irgendwo festhalten, aber da war nur diese Person, die sie fordernd musterte.
»Ich warte! Was wünschen Sie von meinem Verlobten?«
Valerie räusperte sich ein paarmal, bis sie mit fester Stimme hervorstieß: »Ich glaube, da habe ich mich geirrt. Es handelt sich um einen Geschäftsfreund meines Vaters, den ich aufsuchen sollte.« Sie lachte übertrieben auf. »Aber der alte Herr ist bestimmt nicht Ihr Verlobter.«
»Es gibt hier aber nur einen Fuller«, bemerkte Paula Hunter in scharfem Ton.
»Das glaube ich Ihnen gern, aber sehen Sie, da liegt das Problem. Vater hat mir seinen Namen nicht aufgeschrieben. Er wird ganz anders heißen. Tut mir leid, dass ich Sie belästigt habe.«
Mit klopfendem Herzen wandte sich Valerie um und stolzierte hoch erhobenen Hauptes zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Sie spürte Paula Hunters Blicke förmlich in ihrem Rücken brennen.
Wie betäubt stieg sie in die Tram, die sie zu Cecilys Haus zurückbrachte. Dort angekommen, gab sie vor, sich nicht wohl zu fühlen. Cecily war untröstlich, als ihre Freundin ihr bedauernd mitteilte, sie wäre so unpässlich, dass sie am Abend leider nicht bei Tisch erscheinen könne. Sie fühlte sich tatsächlich nicht wohl, seit sie mit James’ Verlobter zusammengestoßen war. Natürlich hätte sie Cecily gern gefragt, woran die Doppelhochzeit im Oktober gescheitert war, und vor
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