Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
allem, warum ihr die Freundin gar nichts davon erzählt hatte. Sie war jedoch vernünftig genug, das bleiben zu lassen. Nein, es war besser, ein Kränkeln vorzutäuschen und auf diese Weise ein erneutes Zusammentreffen mit Paula Hunter zu vermeiden. Sie konnte sich nämlich gut vorstellen, wie die Dame darauf reagierte, wenn sie erfuhr, mit wem sie da am Kai zusammengerasselt war. Überdies bezweifelte sie stark, dass Paula Hunter sie auch nur eine Sekunde unter vier Augen mit James sprechen lassen würde. Ich sollte ihm lieber schreiben und den Butler heute Abend bitten, ihr James’ Mantel zu zeigen. Sie würde den Brief dann später unauffällig in seiner Tasche verschwinden lassen.
Valerie war eine Frau der Tat. Sie wusste, dass sich im Gästesekretär Briefpapier und Umschläge befanden und machte sich an die Arbeit. In knappen Zeilen teilte sie ihm mit, dass sein Bruder mit allen Mitteln versuchte, an das Geheimnis des Hensen-Rums zu gelangen und auch, dass er sie bedroht hatte.
Sie überflog ihren Brief noch einmal, bevor sie ihn in den Umschlag steckte. Jetzt musste sie nur noch warten, bis die Kutsche eintraf. Von ihrem Fenster aus konnte sie die Auffahrt überblicken, aber noch blieb ihr Zeit.
Valerie legte sich auf ihr Bett und dachte nach. Immer wieder ertappte sie sich bei der Frage, warum die beiden wohl noch nicht verheiratet waren …
Ein Pochen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Es war Cecily, die nach ihr sehen wollte und sie zu überreden versuchte, doch an dem Essen teilzunehmen.
»Ich kann nicht«, sagte Valerie schwach.
»Aber vielleicht ist es nachher wieder besser«, insistierte Cecily. »Ich habe nämlich extra einen Witwer für dich eingeladen.«
»Du hast was?« Valerie vergaß vor lauter Empörung ihr angebliches Unwohlsein und schoss hoch.
»Ich dachte, du könntest mal ein wenig Zerstreuung gebrauchen, und da habe ich einen alten Freund von Ben dazugebeten«, gab Cecily kleinlaut zu.
»Einen alten Freund?«, blaffte Valerie.
»Henry Morton ist nicht der attraktivste Kerl von Kingston, aber zuverlässig und aufrichtig. Er wird dir gefallen. Er besitzt die größten Plantagen weit und breit.«
Valerie überlegte gerade, ob es wohl unverschämt wäre, die Freundin als Kupplerin zu beschimpfen, da erst wurde ihr bewusst, was Cecily soeben über diesen Henry von sich gegeben hatte. Er besaß Plantagen … Das brachte sie auf eine geniale Idee.
»Ich glaube, es geht mir schon besser. Aber glaub ja nicht, dass ich mich von dir verkuppeln lasse!«
»Heißt das, du kommst?«
»Ich werde es versuchen«, erwiderte Valerie ausweichend, wenngleich sie bereits fest entschlossen war, sich bei Tisch sehen zu lassen. Es wäre doch gelacht, wenn sie es nicht schaffen würde, mit dem Plantagenbesitzer ins Geschäft zu kommen und ihm zumindest eine Fläche in der Größe der Sullivan-Plantagen abzuschwatzen. Sie war bereit, jeden Preis zu bezahlen. Heiraten würde sie ihn allerdings nicht, um ihr Geschäft zu retten …
»Er wäre auch sehr enttäuscht gewesen, wenn du nicht gekommen wärst. Ich habe ihm nämlich schon ordentlich von dir vorgeschwärmt …«
»Ich suche keinen Mann! Ich werde nie mehr heiraten!«, ging Valerie streng dazwischen.
»Man soll nie nie sagen!«, flötete Cecily. »Er ist ganz versessen darauf, dich näher kennenzulernen.«
»Wann beginnt das Essen?«
Cecily warf einen Blick auf die Wanduhr. »Wenn du in einer Stunde unten bist, könnten wir schon ein Glas Champagner trinken, bevor die Gäste kommen«, schlug sie vor.
Valerie musterte die Freundin streng. »Hat dein Arzt dir nicht geraten, bis zur Entbindung auf Alkohol zu verzichten?«
Cecily machte eine wegwerfende Handbewegung. »Er hat gesagt, ein Gläschen schadet nichts.«
Valerie enthielt sich jedes weiteren Kommentars. Es mochte sein, dass der Doktor diese Worte gebraucht hatte, um die Freundin zur Vernunft zu bringen. Ihr Problem war jedenfalls allerseits bekannt. Cecily trank trotz ihrer Schwangerschaft täglich wesentlich mehr als ein Gläschen. Ben versuchte ständig, sie vom Trinken abzuhalten, aber er stellte das so unbeholfen an, dass er keinerlei Erfolg hatte. Im Gegenteil, wenn er Pech und Cecily schon mächtig über den Durst getrunken hatte, machte sie ihn vor allen lächerlich. Valerie hatte sich bislang mit guten Ratschlägen an die werdende Mutter zurückgehalten, obwohl sie das dringende Bedürfnis verspürte, ihr einmal gründlich ins Gewissen zu reden. Sollte sie diesen
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