Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Kapitän hat es mir erzählt. Er segelte an der Unglücksstelle vorbei, aber da war es zu spät.«
»Nein, das glaube ich dir nicht«, brüllte ich, während ich mit den Fäusten gegen seinen Brustkorb trommelte.
»Hanne, es ist wahr!«
Ich ließ die Fäuste sinken und schlug mir verzweifelt meine Hände vors Gesicht.
»Aber das kann doch nicht sein, dann wäre ja alles umsonst, und ich kann nie wieder nach Hause zurück. Wenn Jakob Hensen erfährt, dass ich lebe …«
»Er wird es nicht erfahren! Das schwöre ich dir bei meinem Leben«, versicherte mir Hauke Jessen und hob die Finger zum Schwur.
Es war merkwürdig. Ich glaubte ihm, obwohl er ein erbärmlicher Mörder war.
»Ich werde alles wiedergutmachen!«, schwor er verzweifelt. »Du wirst schon bald als freie Frau nach Flensburg zurückkehren können.«
Ich senkte den Kopf, weil er nicht sehen sollte, dass mir die Tränen kamen. Dass er bester Absicht war, wollte ich ihm gern abnehmen, aber es stand doch nicht in seiner Macht. Mein Schicksal war unwiederbringlich besiegelt. Ich war mit dem Untergang der Hanne von Flensburg endgültig gestorben.
Als ich nach einer ganzen Weile den Blick hob, war Hauke Jessen spurlos verschwunden.
22
Kingston, Jamaika, Dezember 1883
V alerie genoss die freien Tage in der noch jungen Hauptstadt. Cecilys Ehemann gehörte zu der einflussreichen Hunter-Familie. Sein Vater war der Eigentümer der größten Privatbank. Dementsprechend besaßen sie das prächtigste Anwesen in Downtown, einem schachbrettartig angelegten Kingstoner Wohnviertel am Hafen. Das Leben in der großen Stadt war ungleich hektischer und gleichzeitig aufregender als das in Montego Bay. Valerie genoss den Trubel, der auf den Märkten herrschte und war völlig fasziniert von der Möglichkeit, mit öffentlichen Pferdewagen überallhin gebracht zu werden.
Die hochschwangere Cecily war gar nicht erfreut, dass ihre Freundin auf eigene Faust die Stadt erkundete. Sie hatte es am liebsten, wenn sie gemeinsam auf der Veranda saßen und miteinander plauderten. Valerie aber hatte schon nach drei Tagen genug von dem Geplapper über Nichtigkeiten. Sie hütete sich davor, durchblicken zu lassen, wie sehr sie diese Gespräche über Möbel, Kleidung und Gartengestaltung langweilten. Zu ihrem Bedauern war Cecily nicht nur äußerlich, sondern auch sonst zu einer Matrone geworden. Valerie schob das auf ihre Schwangerschaft, aber manchmal überfielen sie Zweifel, ob sich die Freundin nicht den Erwartungen ihres behäbigen Gatten angepasst hatte. Ben war ein herzensguter Kerl, keine Frage, aber er besaß keinerlei Esprit. Er war sicher ein guter Banker, aber zu Hause hing er an den Lippen seiner angebeteten Frau und hörte sich klaglos deren oberflächliches Geplausche an.
Am vierten Tag ihres Aufenthalts wurde Valerie langsam unruhig. Ihr lag das Faulenzen nicht, zumal sie ständig daran dachte, wie es wohl in Montego Bay lief. Ob Mister Kilridge fündig geworden war? Sie hatte mit ihm verabredet, dass er ihr am Tag vor Weihnachten den Stand der Dinge durchtelegrafieren sollte.
Valerie überlegte schon seit Stunden, wie sie ihrer Freundin schonend beibringen sollte, dass sie dringend zum Telegrafenamt müsse. Sie saßen auf der Veranda beim Frühstück und hatten einen bezaubernden Blick über das Meer. Es fehlte ihnen an nichts. Trotzdem wurde Valerie zunehmend nervöser.
»Du hast noch gar nicht nach meinem Bruder gefragt«, bemerkte Cecily plötzlich in die Stille hinein. »Willst du gar nicht wissen, ob sie morgen zum Fest kommen?«
Valerie wurde rot. Wenn Cecily nur wüsste, dass ein Zusammentreffen mit James der entscheidende Grund für ihre Reise gewesen war, sie wäre schwer beleidigt.
Valerie zuckte die Achseln. »Das mit James ist lange her. Ich denke gar nicht mehr daran«, versuchte sie es abzutun, während ihr Herz mächtig zu pochen begann.
»Nun gut, aber ich wollte dir trotzdem sagen, dass die beiden heute Abend zum Essen kommen, weil sie morgen, am Weihnachtstag, bei meinen Schwiegereltern eingeladen sind. Wir übrigens auch. Du wirst begeistert sein. Gegen das Haus seiner Eltern ist unseres eine Hütte.«
»Schön. Weiß er, dass ich euer Gast bin?«
Über Cecilys rundes Gesicht huschte ein hintergründiges Lächeln. »Ich will ihn überraschen.«
»Hältst du das für eine gute Idee?«
»Lass mir den Spaß. Ich möchte Paulas Gesicht sehen, wenn ich dich vorstelle. James hat ihr wohl nichts erzählt, aber als ich neulich die Geschichte mit dem
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