Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
seit der Geburt unseres Sohnes ist er wie verwandelt. Er liebt diesen kleinen Kerl, der mit seinen inzwischen drei Monaten aus seinen wasserblauen Augen wach in diese Welt sieht. Mich hat unser Benjamin Carl – benannt nach Jonathans und meinem Vater – auch völlig verzaubert. Mit diesem kleinen, wachen Kerl auf dem Arm vergesse ich immer häufiger, wie ich in diese Ehe gezwungen worden bin. Ich habe nicht geahnt, mit welcher Bedingungslosigkeit man ein Kind lieben kann. Benjamin Carl entschädigt mich für alles, was mir in meinem jungen Leben an Unglück widerfahren ist. Er hat Vaters Augen und Mutters Nase. Er sieht überhaupt aus wie ein typischer Asmussen. Von seinem Vater hat er nicht viel, aber das sieht Jonathan ganz anders. Er liebt seinen Sohn abgöttisch und glaubt, er wäre ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Eines hat er tatsächlich von ihm: das Grübchen am Kinn!
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Montego Bay, Jamaika, Januar 1884
V alerie hatte sich nach ihrer überstürzten Abreise aus Kings ton in ihrem Haus verkrochen. Sie kam sich erneut vor wie ihre Großmutter. Stolz, einsam und allein residierte sie auf dem grünen Hügel und empfing nur Mister Kilridge. Der brachte allerdings keine guten Nachrichten. Es hatte sich immer noch kein Plantagenbesitzer gefunden, der bereit war, Land zu verkaufen, auf dem erntereifes Zuckerrohr wuchs. Er wusste zwar zu berichten, dass Gerald fleißig dabei war, neues Zuckerrohr auf der zerstörten Plantage pflanzen zu lassen, nur, das half ihr bei den akuten Problemen nicht. Die einzige gute Nachricht war, dass Rosa einem gesunden Kind das Leben geschenkt hatte. Es war ein Mädchen. Valerie hatte beschlossen, einen Besuch bei der jungen Mutter zu machen. Jetzt, da die Festtage vorüber waren.
Deshalb ließ sie sich an diesem besonders heißen Tag von Jerome in die Stadt bringen. Sie wollte noch eine Kleinigkeit für das Baby besorgen und sich dann von dem Kutscher zur Plantage fahren lassen. Auch in diesem Punkt werde ich schon so sonderlich wie Großmutter, dachte sie halb belustigt, halb entsetzt. Um unterwegs keine Bekannten zu treffen, hatte sie den geschlossenen Wagen genommen, statt selbst zu reiten. Dabei wurde sie in Montego Bay zurzeit regelrecht hofiert. Seit sie Herrin über Sullivan-House geworden war, schien in der feinen Gesellschaft all das vergessen, was Misses Fuller über sie in Umlauf gebracht hatte.
Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass sie den Jahreswechsel doch nicht in Kingston verbringen würde, hatte es nur so Einladungen gehagelt. Sie war eine der reichsten Frauen von Montego Bay. Und wenn es nicht ihre ehemaligen Schulfreundinnen waren, die Kontakt zu ihr suchten, waren es deren Männer, denn die meisten hatten im letzten Jahr geheiratet. Allen voran Mary Tenson. Einige dieser Gatten waren an Geschäften mit Valerie interessiert, aber sie hatte alle diese Einladungen ausgeschlagen. Ihr stand nicht der Sinn danach, sich in dieser heuchlerischen Gesellschaft zu bewegen, in der sie nur wegen ihres Geldes geduldet war. Wer wusste schon, was die Leute hinter ihrem Rücken redeten? Sie war sich sicher, dass ihre zweifelhafte Herkunft unter den Damen der Gesellschaft immer noch Gesprächsthema Nummer eins war.
Wenn die wüssten, vor welchem Abgrund mein Unternehmen steht, ging es ihr durch den Kopf, als Jerome die Kutsche anhielt. Den Weg zum Geschäft musste sie wohl oder übel zu Fuß zurücklegen.
»Ich bin gleich wieder da«, rief sie Jerome zu und sprang leichtfüßig aus dem Wagen. Die Röcke ihres sommerlichen Seidenkleides wippen dabei neckisch. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich in ein Ausgehkleid zu zwängen. Sie liebte dieses leicht fließende, blaue Kleid mit dem weißen Blütenmuster. Es war hochgeschlossen, besaß einen Gürtel, der ihre schmale Taille betonte, und lange Ärmel, die unten mit einer weißen Rüschenborte abschlossen. Dazu trug sie einen Strohhut. Großmutter hatte immer behauptet, dieses Kleid könne sie auf der Veranda zum Tee tragen, aber nicht zum Ausgehen. Valerie lächelte in sich hinein. Großmutters Vorliebe für hochgeschlossene schwarze Gewänder würde sie nicht übernehmen. Wenigstens in dem Punkt unterschieden sie sich.
Seit ihrer überstürzten Abreise aus Kingston fühlte Valerie sich schrecklich. Während sie Cecily gegenüber immer noch einen gesunden Zorn empfand, überwog eine tiefe Traurigkeit, wenn sie an James dachte. So oft sie auch beschloss, ihn aus ihrem Herzen zu reißen – es wollte ihr
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