Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Großmutter mich nicht verantwortlich machen. Genauso wenig, wie Sie mir das dumme Gerede meiner Mutter vorwerfen können. Ich gehöre zu einer anderen Generation, die sich nicht das Recht herausnimmt, andere zu unterjochen.«
Valerie sah ihn bewundernd an.
»Das haben Sie aber schön gesagt. Ich werde das Grandma so weitergeben. Vielleicht kann sie Sie dann etwas besser leiden.«
James lächelte.
»Die Hauptsache ist doch, dass Sie mich besser leiden können«, hauchte er, und ehe sie sichs versah, hatte er ihr einen Kuss auf den Mund gegeben.
Valerie zuckte zurück und starrte ihn entgeistert an, bevor sie ihn einfach stehen ließ. In der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Wie gut, dass Ihre Verlobte das nicht gesehen hat! Und wagen Sie es ja nie wieder, in meine Nähe zu kommen. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die anderen die Männer ausspannen!«, zischte sie.
Valerie bereute ihr Verhalten bereits in dem Augenblick, als die schwere Haustür hinter ihr krachend ins Schloss fiel. Was war bloß in sie gefahren? James hatte ihr schließlich glaubhaft versichert, dass er Mary Tenson nicht heiraten würde. Er hatte sie zum Arzt gebracht und … ja, und sie war in ihn verliebt! Wie oft hatte sie in den letzten Wochen davon geträumt, dass er sie küssen würde. Ich muss mich entschuldigen, sagte sie sich, doch dazu kam sie nicht mehr. Wie ein Geist war Grandma aus der Dämmerung der Eingangshalle aufgetaucht.
»Was hatte denn das zu bedeuten? Wieso sitzt du mit dem jungen Mann auf einem Pferd. Wo ist deins geblieben?«
Valerie funkelte ihre Großmutter kampflustig an. »Ich habe mir die Hand verletzt. Doktor Brown bringt Black Beauty in den nächsten Tagen her.« Sie streckte ihr ihre bläulich schillernde Hand entgegen.
»Oje, das sieht ja schlimm aus. Was ist passiert?«
»Ich bin vom Pferd gefallen!«
»Entschuldige, wenn ich das gewusst hätte … aber bitte versteh mich, ich mache mir Sorgen um dich. Ich möchte nur vermeiden, dass du unglücklich wirst und dich in den falschen Mann verliebst.«
»Ach ja? Und das kannst du entscheiden? Hast du nicht aus deiner Vergangenheit gelernt, dass man selbst am besten weiß, welchem Mann sein Herz gehört?«
Als Valerie sah, dass ihre Großmutter sichtlich erblasst war, bedauerte sie zutiefst, sie in dieser schroffen Art und Weise angegangen zu sein. Ihre Wut galt gar nicht ihr, sondern der Tatsache, dass sie selbst so schrecklich durcheinander war. Sie hatte das Gefühl, dass sie alles verkehrt machte. Aber sie konnte nicht aus ihrer Haut. Deshalb kam ihr auch keine Entschuldigung über die Lippen, sondern sie fügte zornig hinzu: »Dass seine Familie nicht standesgemäß ist, so wie bei deiner großen Liebe Hauke Jessen, kann bei James Fuller ja nicht der Grund deiner Ablehnung sein.«
»Doch, genau das! Ich verstehe nur etwas anderes unter ›standesgemäß‹, nämlich dass die Familie die richtigen Werte tradiert hat!«
»Aber was kann James dafür, dass sein Großvater ein mieser Sklavenhalter gewesen ist?«
»Ach, wenn das alles wäre«, seufzte Hanne. »Ich sage dir, es darf einfach keine Verbindung unserer Familien geben. Das, was uns trennt, liegt viel tiefer und erstreckt sich nicht nur auf Werte, sondern auf Schuld.«
»Du sprichst in Rätseln!«, schnaubte Valerie.
»Ich habe dir den Schlüssel dazu, dass du von dir aus eines Tages ganz freiwillig Abstand von einer Ehe mit diesem Mann nehmen wirst, geliefert. Lies weiter!«
»Wer redet denn von Ehe?«, konterte Valerie.
»Du hast dich also nicht in den jungen James Fuller verliebt?«
»Nein! Hast du vergessen, dass er sein Pferd erschießen wollte und dass seine Mutter mich beleidigt hat? Außerdem ist er offiziell mit Mary Tenson verlobt.«
»Da haben sich ja die beiden richtigen Familien zusammengefunden«, spottete Hanne.
Das wiederum ärgerte Valerie maßlos. Sie fühlte sich wie eine Verräterin an dem jungen Mann.
»Seine Mutter hat das gegen seinen Willen öffentlich gemacht. James will Mary gar nicht heiraten! Aber das ist mir egal. Vollkommen gleichgültig!«, entgegnete sie mit Nachdruck.
»Und das soll ich dir glauben? Deine Augen sprechen eine andere Sprache!«
»Ach, lass mich in Ruhe! Es ist nicht fair, wie du dich einzumischen versuchst. Denn selbst, wenn ich in ihn verliebt wäre, würde ich keinen Fehler machen. Die Fullers gehören zur besten Gesellschaft. James Fuller ist einer der begehrtesten Junggesellen Montego Bays! Es verhält sich anders als mit deiner
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