Das Haus der Donna: Roman (German Edition)
Augen nach.
Vielleicht war sie nicht besonders zugänglich, vielleicht mochten die Leute sie nicht so gern wie Andrew, aber sie war doch nicht... hart. Oder?
Nur ungern erkannte sie, daß ihre angeborene Zurückhaltung als Kälte wahrgenommen wurde.
Wie bei ihrer Mutter.
Nein, das wollte sie nicht glauben. Die, die sie kannten, dachten nicht so von ihr. Ihre Beziehung zu Lori war in Ordnung, und auch mit John Carter verstand sie sich gut. Sie führte das Labor schließlich nicht wie ein Feldwebel, so daß niemand etwas sagen oder lachen durfte.
Witze erzählte ihr allerdings auch niemand.
Aber schließlich bin ich die Chefin, erinnerte sie sich selbst. Was wollte sie also erwarten?
Entschlossen straffte Miranda die Schultern. Sie konnte es nicht zulassen, daß eine furchtsame Sekretärin eine ausgiebige Selbstanalyse bei ihr auslöste.
Weil an diesem Tag glücklicherweise keine Verabredungen oder öffentliche Sitzungen auf dem Plan standen, trug sie immer noch den Pullover und die Hose, in die sie am Morgen geschlüpft war, um zuzusehen, wie der Tag dämmerte. Ihre Haare hatte sie zu einem einfachen Zopf geflochten, und inzwischen ringelten sich bereits unordentliche Löckchen um ihr Gesicht.
In Italien war es jetzt früher Nachmittag, und sie waren bestimmt gerade dabei, die Bronzeskulptur zu testen. Bei dem Gedanken verspannten sich Mirandas Schultern wieder.
Sie betrat das Büro ihres Bruders durch das Vorzimmer. An einem mächtigen viktorianischen Schreibtisch, vor dem zwei strenge Stühle mit geraden Rückenlehnen standen, saß die Frau, die alles überwachte.
»Guten Morgen, Ms. Purdue.«
Andrews Assistentin war etwas über fünfzig, ordentlich wie eine Nonne und auch genauso streng. Ihre graugesträhnten Haare waren jahraus, jahrein zu einem Knoten geschlungen, und sie trug immer eine gestärkte Bluse und ein dunkles Kostüm.
Sie war und blieb Ms. Purdue.
Sie nickte und nahm ihre flinken Finger von der Tastatur. »Guten Morgen, Dr. Jones. Ich wußte nicht, daß Sie schon wieder aus Italien zurück sind.«
»Ich bin gestern wiedergekommen.« Miranda versuchte zu lächeln, schließlich konnte sie genausogut gleich damit anfangen, freundlicher zu den Angestellten zu sein. »Es ist ein ziemlicher Schock, in diese Kälte zurückzukehren.« Als Ms. Purdue daraufhin nur nickte, gab Miranda – dankbar – die Absicht auf, ein Schwätzchen mit ihr zu halten. »Ist mein Bruder da?«
»Dr. Jones ist gerade hinuntergegangen, um einen Gast zu begrüßen. Er muß jeden Moment wieder dasein. Möchten Sie auf ihn warten, oder soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Nein, ist schon gut. Ich sehe ihn ja später.« Sie wollte sich gerade umdrehen, als sie Männerstimmen auf der Treppe hörte. Hätte nicht Ms. Purdues kritischer Blick auf ihr geruht, wäre Miranda auf der Stelle hinausgestürzt, um sich zu verstecken, damit sie nicht Andrews Gast begegnete.
Rasch fuhr sie sich durch die Haare und setzte ein höfliches Lächeln auf.
Ihr Lächeln erlosch jedoch, als Andrew und sein Begleiter in der Tür erschienen.
»Miranda, das ist ja nett!« Andrew strahlte sie an – und ein rascher Blick überzeugte Miranda davon, daß er offenbar letzte Nacht nicht mehr allzu viel getrunken hatte. »Dann brauche ich nicht in deinem Büro anzurufen. Ich möchte dir Ryan Boldari von der Galerie Boldari vorstellen.«
Sein Begleiter trat vor, ergriff Mirandas Hand und zog sie leicht an seine Lippen. »Wie nett, Sie endlich kennenzulernen.«
Sein Gesicht hätte von einem der Gemälde im Institut stammen können. Er sah gut aus, ein dunkler, wilder Typ Mann, und dieser Eindruck wurde nur leicht gemildert durch den untadelig geschnittenen grauen Anzug und die perfekt geknotete Seidenkrawatte. Seine Haare waren dicht, schwarz wie Tinte und leicht gewellt. Seine Haut war leicht gebräunt, und die Vollkommenheit seiner Gesichtszüge wurde nur durch eine kleine Narbe über der linken Augenbraue gestört.
Seine Augen schimmerten dunkelbraun mit kleinen Goldreflexen. Sein Mund hätte von einem alten Meister geschaffen worden sein können, und er war jetzt zu einem Lächeln verzogen, bei dem sich jede Frau unwillkürlich fragen mußte, wie sich diese Lippen wohl auf ihren anfühlen würden.
In Mirandas Kopf gab es ein klingendes Geräusch, und ihr Herz schlug schneller.
»Willkommen im Institut, Mr. Boldari.«
»Ich freue mich, hier zu sein.« Er behielt ihre Hand in seiner. Sie lächelte zwar höflich, aber zwischen ihren
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