Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
herumspukte.“
Alec nickte mitfühlend. Mit leiser Stimme fragte er: „Bei alledem, was du mitgemacht hast, Robert – ist dir je der Gedanke gekommen, dass du dich umbringen wolltest?“
„Ich hatte manchmal alles satt, aber ich bin nicht wirklich der Typ dazu. Ich bin mit der Ansicht aufgewachsen, dass Selbstmord ein Ausweg für Feiglinge sei, und wenn ich vor etwas zurückschrecke, dann davor, ein Feigling zu sein.“
„Na, das bist du gewiss nicht“, bemerkte Alec voll Anerkennung.
Robert zuckte die Schultern. „In diesen vierzehn Tagen in Niks Kellerverlies habe ich mich oft gefragt, ob es sich dafürsteht, ein Held zu sein. Ich wusste, dass Nik und Isabella mich früher oder später in die Knie zwingen würden. Kein Mensch kann unbegrenzt Schmerzen aushalten. Ich wusste auch, dass sie mich töten würden, sobald sie meine Unterschrift und meine Informationen hatten; sie waren viel zu weit gegangen, um mich noch laufen zu lassen ... ich meine, nach alledem konnten sie nicht gut sagen: ‚Lass uns alles vergessen und wieder gute Freunde sein, Daddy‘, nicht wahr?“ Er lachte humorlos auf. „Wahrscheinlich habe ich nur unnötig viel Prügel eingesteckt. Aber ich konnte einfach nicht anders. Ich musste aushalten, so lange es nur irgend ging, sonst hätte ich von mir selbst schlechte Noten bekommen. Und wenn ich schon sterben musste, dann wollte ich wenigstens nicht als Feigling sterben.“
Den Blick ins Leere gerichtet, fuhr er sich mit beiden Händen über die Schläfen, strich das ungebärdige Haar glatt und seufzte tief auf. „Das war es, wovor ich die meiste Angst hatte ... dass es ihnen gelingen würde, meine Selbstachtung zu zerstören. Ich wusste, dass beide mich recht gut kannten, sie wussten genau, wo meine Schwachstellen waren. Ich weiß nicht, ob ihr mich versteht ... ich schämte mich nicht dafür, dass ich brüllte, als sie meine Arme verbrannten. Nur ein Stummer würde unter solchen Schmerzen nicht brüllen. Ich schämte mich auch nicht, wenn ich mich ankotzte oder anpisste; ich wusste, dass mein Körper nicht anders konnte, als so zu reagieren. Aber ich fürchtete mich davor, dass sie mich zwingen könnten, etwas zu tun, das mich mir selbst zum Feind machte. Wenn Nik mich nur ein wenig besser gekannt hätte, dann hätte er mich mit einem Fingerschnippen zerstören können. Er hätte mich nur zwingen brauchen, die Erinnerung an meine Frau zu beschmutzen. Damit, das weiß ich, hätte er mich zerbrochen. Wisst ihr, was ich meine?“
„Ja“, bestätigte ich. „Zimmer 101.“
Er sah mich erstaunt an. „Das sagt mir nichts. Was bedeutet es?“
„Es stammt aus einem Roman. George Orwell‘s ‚1984‘. Zimmer 101 ist die Folterkammer eines utopischen Staates. In diesem Buch zerbricht ein Mann, als er so unerträglichen Qualen ausgesetzt wird, dass er bittet, seine Geliebte an seiner Stelle zu foltern.“
Robert nickte eifrig. „Ja, das ist es – genau das ist es, was ich meine! Und ich habe wohl Glück gehabt, dass Nik nicht ganz so schlau ist, wie er dachte, denn welcher Mann weiß schon, wie stark er im letzten, entscheidenden Augenblick ist?“
An diesem sonnigen Nachmittag, so begriff ich später, hatte Robert Junkarts einen Rubikon überschritten. Nach allem anfänglichen Zaudern und Schwanken hatte er gewissermaßen tief Atem geholt und den entscheidenden Schritt getan, und nun ging er entschlossen den Weg entlang, der ihm die Heilung seiner Wunden und die Erfüllung seiner verborgensten Wünsche versprach. Es war ein dunkler Weg, von Dornenhecken, Tollkirschen und Schierling gesäumt, aber Robert wusste, dass Freunde mit ihm gingen. Wie alle Menschen, deren tiefste Sehnsucht gestillt ist, legte er von da ab ein ruhiges und fröhliches Wesen an den Tag, schlief gut, arbeitete gern und aß mit einem Appetit, der vor allem Coco erfreute.
Ich wusste, dass er mich liebte, aber er machte keinen Versuch mir näherzukommen. Auf sexuellem Gebiet hatte er sehr strenge Vorstellungen von Mein und Dein, so erstaunlich das bei einem Mann auch klingen mochte, der sein halbes Leben lang ein berufsmäßiger Beutelschneider gewesen war, und er vermied sorgsam jeden Anschein, er könnte sich etwas aneignen wollen, das einem anderen Mann gehörte. Von der Vorstellung, dass ich Alec „gehörte“, war er nicht abzubringen, und ich gab es schließlich auf, sein Denken korrigieren zu wollen. Er hatte aber auch sein eigenes „Mein“, nämlich die Erinnerung an seine Frau, Louise. Sogar jetzt
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