Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
Mir war, als legte jemand die Arme um mich und drückte mich an sich, und mich durchströmte eine solche Welle von Glück und Geborgenheit, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Auf einmal empfand ich nur noch Mitleid für meinen Vater, der mich nur lieben konnte, wenn ich ständig Erfolge apportierte wie ein Hund seinen Ball. In Wirklichkeit war es ganz gleichgültig, ob ich arm und obdachlos und ungewaschen war. Ich wusste, dass ich geliebt wurde, mit einer Intensität, dass ich unwillkürlich die Arme ausstreckte und diese unsichtbare Gegenwart meinerseits zu umarmen versuchte. Kannst du mich verstehen oder hältst du mich für verrückt?“
Ich lehnte den Kopf an seine Schulter. „Ich kann dich vollkommen verstehen.“
„Danach“, sagte er, „sah ich auch alles, was ich erlebt hatte, in einem anderen Licht. Erst hatte ich nur verstanden, dass Gott mich gestraft hatte. Ich konnte mich nicht vor ihm rechtfertigen, ich musste es mir gefallen lassen, dass ich schuldig war und Strafe verdient hatte, aber die Strafe änderte nichts in mir, ich war nur bitter und traurig und voll Selbstmitleid. Nach diesem Erlebnis fing ich allmählich an zu begreifen, dass es keine Strafe gewesen war, sondern eine
Operation
. Eine schrecklich schmerzhafte und blutige Operation, aber sie hatte alles, was in mir verkehrt und verwachsen gewesen war, wieder ins Lot gebracht, und nun fühlte ich, dass es heilte ... Ich war grausam zerschlagen worden, aber das hatte sein müssen, weil ich
vorher
so völlig verdreht und verkrüppelt gewesen war, nicht am Körper, aber in meinem ganzen Wesen.“ Plötzlich lachte er, ein freundliches und warmherziges Lachen. „Es war ein wunderschöner Tag für mich, an dem mir aufging, dass mir zwar alle Knochen wehtaten, dass sie aber alle richtig zusammenheilten, und wenn ich die Schmerzen überstanden hatte, würde ich gerade und aufrecht gehen können.“ Mit einer impulsiven Geste schlang er die Arme um meinen Hals und drückte die Wange an meine. „Charmion, ich möchte nie, nie wieder das sein, was ich früher war.“
„Das wirst du auch nie wieder sein. – Und dein Vater?“
Ich spürte, wie er mit einer matten Bewegung die Schultern zuckte. „Ich existiere nicht mehr für ihn. Ich bin eine Unperson, soweit es ihn angeht. Einmal habe ich ihm geschrieben, nachdem ich hier eingezogen war, habe versucht, ihm zu erklären, was mit mir geschehen ist ... Ich unterschrieb den Brief ‚Dein Sohn Robert‘, und ich bekam ihn mit dem Vermerk zurück: ‚Ich habe keinen Sohn‘. Ende der Durchsage. Nun, meine Existenz hängt nicht mehr von ihm ab. Solange Gott Ja zu mir sagt, soll er ruhig Nein zu mir sagen, das trifft mich nicht mehr.“
„Und dieses Gefühl, dass dich jemand umarmt, hast du das später wieder erlebt?“
„Ja, manchmal. Aber vor allem hatte ich das Gefühl, dass in mir ... wie sage ich dir das am Besten ... eine Quelle aufgebrochen war. Hier.“ Er klopfte sich mit den Knöcheln gegen den Solarplexus. „Irgendetwas war in mir entstanden, das mich von innen heraus änderte. Ich begann viele Dinge anders zu sehen. Verstehst du: Es geschah nicht bewusst, jedenfalls nicht von
meinem
Bewusstsein er. Es geschah einfach. Ich fing an zu begreifen, was für ein Mensch ich gewesen war, und schämte mich dafür. Allmählich änderten sich viele von meinen Wünschen und Bedürfnissen. Manchmal hatte ich das Gefühl, nicht ein erwachsener Mann zu sein – fast schon ein
alter
Mann – sondern ein Kind, das ganz von Anfang an wieder lernen musste, zu sein ...“
Ich zog ihn an mich, und wir saßen lange Zeit dort auf der Treppe, während die Seifenlauge im Eimer kalt wurde, hielten einander eng umschlungen und fühlten einer des anderen Herz klopfen.
Nicht immer verliefen unsere Begegnungen so harmonisch. Es gab auch Augenblicke, in denen wir einander missverstanden, ja nicht verstehen wollten, und Augenblicke, in denen wir einander Zorn und Groll entgegenbrachten. Kernstück einer solchen Szene war eine billige, weiß und blau emaillierte Blechschüssel.
Wir waren allein im Haus, wie es in diesen Sommertagen oft der Fall war, und ich hatte meine hausfraulichen Fähigkeiten unter Beweis gestellt, indem ich aus einem Beutel Fertigteigmischung („nur einen Viertelliter Wasser zufügen“) eine Pfanne Grießschmarrn backte. Ich wollte eben unsere beiden Teller anfüllen, als ich sah, dass Robert Junkarts seine exquisite psychische Folterkammer um ein neues bösartiges Instrument
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