Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
Robert Junkarts vermutlich nie eines schreiben – er war ein Mensch, dem Zahlen weitaus mehr sagten als Buchstaben –, und das Kind, das er gezeugt hatte, hatte ihn verraten, aber im Bäumepflanzen war er gut.
Ich merkte rasch, dass unser neuer Gärtner mehr konnte als Steckrüben setzen. Er hatte ein natürliches Talent dafür, Pflanzen harmonisch und gefällig anzuordnen, vor allem aber betrachtete er sie, wie es alle echten Gärtner tun, als Lebewesen. Ich brauchte ihm nur zuzusehen, wie er um jeden einzelnen Busch und Strauch herumging, ihn sorgfältig auf sein Wohlergehen untersuchte, ihn fütterte und tränkte und dann noch ein Weilchen stehen blieb, offenbar, um mit den Pflanzen ein paar freundliche Worte zu wechseln. Wenn er sich allerdings dabei beobachtet fühlte, ging er immer rasch weg.
„Ich war ein großer Narr, Charmion“, sagte er eines Tages zu mir, während er die letzten Handgriffe an dem Spalier tat, das seit neuestem die Mauer im Hintergarten bedeckte. Frisch gepflanzte Mauerkatze machte sich bereits auf, daran hochzuklettern. „Alles, was mir gut getan hätte, habe ich mir verkniffen, und alles, was mir und anderen geschadet hat, habe ich getan. Wäre ich gleich Gärtner geworden, so wäre ich wahrscheinlich mein Leben lang glücklich gewesen. Warum musste ich bloß so alt werden, um zur Vernunft zu kommen?“
„Das darfst du
mich
nicht fragen. Ich habe auch erst im letzten Augenblick die Kurve gekratzt.“
„Ich dachte, du wärst immer schon so begabt gewesen.“
„Begabt sicher, aber zum Schreiben brauchst du nicht nur Talent, du brauchst auch – nun, eine Persönlichkeit. Und meine Persönlichkeit war die ersten fünfzig Jahre meines Lebens ausgesprochen abschreckend. Ich war so nekrophil wie ein Mistkäfer. Die einzigen Leute, die sich wirklich gut mit mir unterhalten konnten, waren Pathologen und Totengräber. Allerdings hat sich sogar der Direktor der Städtischen Bestattung einmal über mich beschwert: Meine zynischen Witze hätten seine sensiblen Angestellten schockiert.“
Robert – der das für einen Scherz hielt, obwohl es nackte Realität war – lachte. Er setzte sich im Schatten der Hinterhofmauer ins Gras und bedeutete mir, mich zu ihm zu setzen. Ich merkte, wie er vorsichtig nach Worten suchte, als er hören ließ: „Du warst immer schon eine ziemlich ... wilde Frau, nicht wahr.“ Das hieß, dass ich ihm bei aller leidenschaftlichen Zuneigung, die er für mich empfand, nicht ganz geheuer war. Ich mochte seine Traumfrau sein, aber ich schleppte zugleich den drohenden Schatten der Albtraumfrau hinter mir her. Vermutlich war es für ihn, als hätte er entdeckt, dass der einzige Mensch, der ihn wirklich verstand, eine Panoptikums-Attraktion war.
Der Hintergarten rekelte sich im warmen Licht eines Augustmorgens. Die Sonne, die hoch im süd-östlichen Himmel stand, leuchtete auf der rückwärtigen Fassade des Hauses und flutete in die französischen Fenster der Hinterzimmer. Aus dem Haus drang Musik, eine sanfte, melancholische Musik, die ihren Ursprung zweifellos in Elenas oder Terrys Zimmer hatte.
Ich setzte mich neben meinen Freund ins Gras und lehnte den Kopf an seine Schulter. Er roch nach der Arbeit, die er den ganzen Morgen getan hatte, nach frischer Erde und frischem Schweiß, und ich fühlte mich sehr angezogen davon. Ich legte die Hand auf seine. Als ich mit den Fingerspitzen über zwei der Narben strich, schauerte er wohlig wie ein Mann, dem man den Nacken krault. Mir fiel auf, dass sein Körper in letzter Zeit nicht mehr so extrem reagierte. Die Haut rötete sich zwar wie unter einem Sonnenbrand und schwoll an, aber sie blutete nicht mehr. Ich nahm es als ein Zeichen, dass Robert Junkarts sich langsam mit seinen Leiden aussöhnte.
„Eine wilde Frau?“, nahm ich seine Frage auf. „Nicht in dem Sinn, nein ... ich habe zwar die tollsten Sachen getrieben, aber eigentlich nur, weil mir alles so tödlich gleichgültig war. Mir war es egal, mit wem ich bumste und was ich schluckte. Ich probierte alles aus, aber alles schmeckte wie kalter Haferbrei.“
„Aber warum?“
„Ich weiß auch nicht. Vielleicht war es angeboren. Vielleicht bin ich so erzogen worden. Jedenfalls war ich immer mehr tot als lebendig. Ich hatte Angst vor dem Leben, Angst vor der Lust, Angst vor allem, was sich regt und verändert. Ich erinnere mich, dass ich ein starkes, geradezu autistisches Bedürfnis nach kristallinen Strukturen hatte. Ich beschäftigte mich gerne mit Architektur,
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