Das Haus der glücklichen Alten
sprechen. Sie war nur ein Bild. Eine Metapher, um eine bittere, schwer zu haltende Rede zu verschönern.
Über den Friedhof zu laufen ist das Letzte, was uns alten Leuten in den Kopf kommt. Es ist, was uns wirklich unwiderruflich alt macht und von den anderen unterscheidet. Wir freunden uns mit dem Tod an. Als erschmeichelten wir das Vertrauen dieses Unbekannten, damit er uns bezaubert, wer weiß. Oder damit wir erkennen, wie wir ihm noch einmal entkommen können. Verschiedene, einander ergänzende Dinge, denn unsere Gefühle schwanken zwischen dem Bedürfnis, aus der Sackgasse des Lebensendes herauszukommen, und der Tragik, die das annimmt. Der Mut hat hier und da ernste Fehler. Und wir, die wir keineswegs aus Eisen gemacht sind, versagen vielleicht allzu sehr, was uns nicht zu Feiglingen macht, wir sind dieselben wie immer. Dieselben verletzlichen, verwirrten Menschlein wie immer. So viel Kultur und Überfluss, wenn der Tod naht, die frustrierende Gleichheit und dieselbe Wissenschaft. Wir sind alle von einer ähnlichen rigorosen Unwissenheit. Und so weist uns keiner einen leichteren Weg, mit schöneren Aussichten, der vorteilhafter ist und nicht so einsam, es ist ein unsinniger Weg, bei dem weggeht, wer in Wahrheit nicht den Ort verlässt.
Wir gewöhnen uns langsam daran, auf dem Friedhof zu sein, in der eigentümlichen Ruhe, in der man die Dinge dort lässt. Wir fangen an, auf die Zeichen zu achten. Wir lernen die Gedenktafeln lesen, die Fotos ansehen und erkennen, wer darauf schon belastet ist. Wir denken an Menschen zurück und denken daran, wie leicht es war zu leben, ohne an sie zu denken, und wie grausam es werden wird, eben weil es so ist. Wir sehen sie auf einem Bild, erinnern uns an die Sympathie in den Augenblicken, da wir einander nah waren, und dann denken wir daran, wie groß der Abstand ist zu jenen Augenblicken, zu den Gefühlen und vor allem zum Gedenken. Und wir merken, wir hätten uns nicht an diesen Menschen erinnert, wäre da nicht der Zufall gewesen, dass wir ihn in so waagerechter Lage, ohne dass er uns aus dem Weg gehen kann, wiedererkannt haben. Was ist dies wohl anderes als die Grausamkeit der Lebenswege. Ein grausames Soll und Haben des Lebens. Eine Grausamkeit des Gefühlshaushaltes, zu der wir fähig sind. Unfähig, alles und alle zu bewahren, unfähig, für alles und alle da zu sein.
Die Stelle, wo Laura liegt, ist nicht anders als die anderen. Sie hat nichts Besonderes, und wenn ich sie nicht kennen würde, könnte ich mich nicht davon überzeugen, dass sie Besseres verdient hätte. Nichts in meinem Schmerz erwartete, dass es eine Lichtreklame gäbe, um anzuzeigen, wo die Liebe meines Lebens zu Staub wurde. Es kam mir jedoch sonderbar vor, dies konstatieren zu müssen. Dass die begrabene Laura genauso aussah wie die anderen, die dort massenhaft liegen. Sie hatte die Fähigkeit verloren, in einem Saal auf natürliche Weise Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn sie eintrat, ahnten alle ihre Gegenwart voraus und suchten nach ihr. Unverzüglich nahmen sie ihre funkelnde Energie wahr, eine innere Schönheit, die sich in der Haltung und einer bezeichnenden Offenheit äußerte. Dort nicht. Sie lag unter den weißen Steinen, so wie unter anderen weißen Steinen die anderen lagen. Vielleicht eine Ungerechtigkeit gegenüber dem, was sie im Leben gewesen war. Und darum wäre es nicht erstaunlich gewesen, wenn ihr Grab ganz andere Dimensionen gehabt hätte, um den Leuten zu zeigen, welchen Unterschied es zwischen den Toten gab. Doch das rührte nur von meiner Wehmut her. Nur von meiner Wehmut. Jeder andere Friedhofsbesucher würde dasselbe fühlen, wäre er zufällig von meinen üblichen schwärmerischen Träumereien erfasst.
Ich riss den kindischen Zettel ab, den ich der Statuette der Heiligen Jungfrau von Fátima angeklebt hatte. Ich riss ihn ab und warf ihn in den Müll. Américo setzte sich mit mir auf mein Bett und lobte, was ich getan hatte. Er wusste, so etwas bedeutete, dass ich mich in meinem Verhalten mäßigte und mich mit dem Schicksal langsam versöhnte. Das wusste auch ich. Das erste Jahr war vorüber, und der Schmerz saß zwar tief, aber vielleicht bildete sich langsam die wehmütige Erinnerung heraus, von der er mir erzählt hatte. Diese wohltuende Wehmut, die nicht mehr verletzen, sondern die Vergangenheit feiern will. Es stimmte, dass ich die Vergangenheit nicht geringschätzen durfte. Aus dem Strudel der Schwierigkeiten kam ich bei der Bewertung meines Lebens schließlich zu einem
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