Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
Mutter und zeigte ihr, wie man Tee mit Milch trinkt. Meine Mutter antwortete mir auf chinesisch und unterwies mich in feng shui. In der Mission brachten die englischen Damen mir das Fußballspielen bei. Zu Hause lehrte meine Mutter mich ein Benehmen von blumenhafter Bescheidenheit. Tagsüber lernte ich Eiscreme essen und abends Glasnudeln. Sonntags betete ich zu Jesus, an den anderen Tagen zu Kwan Yin. Ich feierte sowohl Weihnachten als auch das Geisterfest. Ich lernte, auf chinesische Weise die Augen niederzuschlagen und auf amerikanische das Kinn zu heben.
Hauptsächlich jedoch unterrichtete mich meine Mutter in der alten Heilkunst unserer Vorfahren. Sie lehrte mich, das Rezept für jede einzelne Arznei sorgsam in ein Buch einzutragen, in chinesischen Schriftzeichen ebenso wie auf englisch: »Gegen Yin-Leere: ein Teil Sha-shen -Wurzel, drei Teile Wolfsbeerenfrüchte, zwei Teile gemahlene Schildkrötenschale. Langsam kochen lassen, damit der Dampf nicht zu schnell aufsteigt.«
Sie erklärte mir auch die Harmonie von Yin und Yang. »Yin ist dunkel und naß, symbolisiert durch Wasser und Mond. Yang ist hell und heiß, symbolisiert durch Feuer und Sonne.« Als ich darauf hinwies, daß Yang dann ja überlegen wäre, entgegnete sie: »Hast du schon einmal gesehen, wie Wasser Feuer löscht? Wasser erweicht mit der Zeit den härtesten Felsen. Was ist also überlegen?«
Und nun, an diesem Tag, der unser letzter am Hafen sein sollte, sagte meine Mutter: »Deine Erziehung ist abgeschlossen. Nun gehst du hinaus in die Welt.«
Als wir wieder in der Malay-Straße waren, hielten wir bei einer Garküche an. Meine Mutter verschwendete kostbare Münzen für Reisschüsseln mit Curryshrimps, die wir dort stehend aßen, während hungrige Dockarbeiter und Rikschajungen am Rinnstein hockten und sich eilig Nudeln und Klöße in die Münder schaufelten. Das Essen war ein besonderes Geschenk für mich, denn wir konnten uns diesen Luxus eigentlich nicht leisten. Nachdem meine Mutter ein paar ganz kleine Bissen zu sich genommen hatte, klagte sie über Völlegefühl, beschwerte sich sogar bei der Garküchenbesitzerin über die zu große Portion und leerte dann ihre Schüssel in meine und gab mir ihre dicken, unberührten Shrimps und den feuchtesten Teil von ihrem Reis. »Du brauchst Kraft, Harmonie«, sagte sie, »für deine lange Reise.«
Als ich aufgegessen hatte, selig über dieses seltene Festessen, gab mir die Besitzerin der Garküche noch eine große Papaya und sagte: »Umsonst, umsonst! Ein Geschenk für euch. Aii-yah!« Und zu meiner Mutter: »Deine Medizin hat Wunder gewirkt. Meine beiden Babys husten nicht mehr und schlafen die ganze Nacht durch. Komm, schau sie dir an!«
Sie zeigte uns ein Zwillingsbettchen. Es war leer, denn ihre Kinder waren vor zwanzig Jahren bei einer Grippeepidemie gestorben. Ihre Nachbarn und Kunden meinten alle, es sei besser, ihr nicht zu widersprechen, als sie zu zwingen, der Wahrheit ins Auge zu sehen, und darum gab ihr meine Mutter auch jede Woche einen Kräutersaft, um ihn in die Milch für die Babys zu mischen.
»Vergiß das nicht, Harmonie«, sagte meine Mutter, und ich begriff, daß sie mir damit eine letzte Lektion erteilte.
Doch bevor wir von unserem letzten Besuch am Hafen nach Hause kamen, seufzte meine Mutter leise, »Aii-yah«, und stützte sich auf mich. »Ich kann nicht weiter, meine Füße quälen mich so sehr.«
Ich führte sie in den Schatten, wo sie sich an eine Mauer lehnen konnte.
Während wir dort warteten und ich den Vorübergehenden nachschaute – kleinen Chinesinnen beim Einkaufen, lachenden Malaiinnen, lässig dahinschlendernden Arabern und eiligen Engländern –, blieb auf einmal ein hochgewachsener, würdig aussehender Herr vor uns stehen.
Obwohl er Chinese war, trug er die weiße Jacke und die weißen Tropenhosen eines angesehenen Engländers, eine kleine, runde Brille über intelligenten Augen, und auf dem Kopf einen Hut, wie ihn Reverend Peterson von der Mission benutzte, um seine helle Haut vor der Sonne zu schützen. Der Herr musterte uns einen Augenblick, griff dann in die Tasche und nahm eine Münze heraus.
Tief beschämt verstand ich, daß er uns für Bettlerinnen hielt. Als er jedoch meine Mutter anschaute, hielt er inne. Einen langen Moment ruhte sein Blick auf ihr. Dann, mit einem Ausdruck, den ich zunächst nicht deuten konnte, steckte er die Münze wieder ein und setzte seinen Weg fort.
»Warum hat er dir das Geld nicht gegeben?« fragte ich, obwohl
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