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Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)

Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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machte das ganze Leben aufregend, spontan und überhaupt erst richtig lebenswert.
    Und nun war er wieder da, mit all seiner Leidenschaftlichkeit und Intensität, und erfüllte sie mit verzehrender Neugier darauf, wie er selbst diese letzten zehn Jahre verbracht hatte. Aber sie würde ihn nicht fragen. Charlotte wußte, daß er nicht bleiben konnte, daß er zurück mußte zu seiner Frau und seinem Leben in einer anderen Welt.
    Sie unterdrückte ihren Schmerz und ihre Angst und weigerte sich, an die Garagentür und Knights Vermutung, jemand hätte daran herummanipuliert, zu denken. Sie sah sich in dem Museum um, dessen Reliquien ihr aus den Glaskästen zuwinkten, und fragte sich, ob der Schlüssel zu dem Rätsel, wer sie und ihr Unternehmen attackierte, vielleicht wirklich, wie sie schon gedacht hatte, unter all diesen Erinnerungsstücken verborgen lag. Sie trat vor einen der beleuchteten Schaukästen. Ein kleines Kärtchen gab an: »Die Göttin Kwan Yin, etwa 1924. Singapur.« Ihre Großmutter hatte ihr die Geschichte der kleinen Porzellanfigur, die allein in der Vitrine stand, erzählt, aber Charlotte erinnerte sich nicht mehr daran.
    Doch als ihre Finger sich jetzt um das zierliche Figürchen schlossen, fühlte sie, daß ihr alles wieder einfiel … das seltsame Schicksal einer Göttin, die nicht einmal ein Dieb zu stehlen wagte …

13
    1924  – Singapur
    Wir schauten zu, wie das letzte Schiff in den Hafen segelte, beobachteten die Passagiere, die die Gangway herunterkamen, und sahen sie durch die Zollbaracken gehen und sich zerstreuen. Meine Mutter drehte sich zu mir um. »Harmonie«, sagte sie, »das ist das letzte Mal, daß ich hierher zum Hafen komme. Das letzte Mal.«
    Seit siebzehn Jahren war meine Mutter jeden Tag zum Hafen gegangen.
    Nachdem ich geboren war, kam sie, mit mir auf dem Arm, und sah zu, wie die Schiffe einfuhren, während sie darauf wartete, daß ihr geliebter Richard zurückkehrte. Er hatte es versprochen, und sie gab niemals die Hoffnung auf, daß er sein Versprechen eines Tages einlösen würde.
    Als ich laufen konnte, nahm sie mich bei der Hand und führte mich her, um die Schiffe mit den mächtigen Segeln und Masten und die Dampfer mit den rauchenden Schornsteinen und ohrenbetäubenden Sirenen zu betrachten. Wir stellten uns auf unseren üblichen Platz am Kai, ein vertrauter Anblick für Fischer und Dockarbeiter, und richteten unsere Augen wie Zwillingsleuchttürme auf den Horizont. Sie folgten den Frachtschiffen, Ozeanlinern, Privatyachten, Kriegsschiffen, Dschunken und Schleppern, die ihre unterschiedlichen Bahnen durch das grüne Wasser zogen. Wir brachten uns bescheidene Mahlzeiten aus Reisbrei und Fischköpfen mit und studierten die Gesichter der Passagiere, die in die Docks herunterstiegen. Fuhr das Schiff zu einem anderen Hafen weiter, suchten wir die Gesichter der Männer ab, die an der Reling standen. Meine Mutter fragte die Vorübergehenden, ob sie von einem amerikanischen Reisenden namens Richard gehört hätten, der auf der Rückfahrt nach Singapur war. Sie ging auch in die Zollbaracke, zur Paßstelle und zum Hafenmeister und stellte ihre Fragen. Alle waren freundlich, aber jeder sagte »Nein«.
    Sie gab die Hoffnung nie auf.
    Selbst als ihre verkrüppelten Füße das viele Laufen und Stehen nicht mehr aushielten – denn eine Rikscha konnten wir uns nicht leisten –, verzichtete meine Mutter nicht auf den Gang zum Hafen. Ich war ihre Stütze, ihr Stock. Ihre Hand hob sich mit meiner Schulter, als ich größer und kräftiger wurde und sie kleiner und gebeugter, obwohl sie noch keine alte Frau war. Abends wechselte ich ihre Verbände, schabte die faulende Haut ab und badete ihre Füße in süß duftenden Ölen.
    Und heute, nur wenige Wochen nach meinem sechzehnten Geburtstag, standen wir zum letzten Mal am Hafen, denn meine Mutter würde den Weg nicht mehr zurücklegen können.
    »Harmonie«, sagte sie, »letzte Nacht im Traum ist mir die Göttin erschienen und hat mir verkündet, daß ich bald sterben werde. Es ist Zeit für dich, Singapur zu verlassen, meine Tochter, und dein neues Leben zu beginnen.«
    Ich hatte gewußt, daß dieser Tag kommen würde, so wie ich gewußt hatte, daß es mein Schicksal war, den Ort meiner Geburt zu verlassen. Trotzdem protestierte ich.
    »Es gibt für dich keine Zukunft hier«, antwortete meine Mutter. »Wenn ich nicht mehr da bin, stehst du allein, die uneheliche Tochter einer Ausgestoßenen. Du weißt, was du hier bist, Harmonie«,

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