Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
nicht ohne Umwege getan. Er hatte es ihr nicht ins Gesicht und auch nicht am Telefon sagen, ihr nicht einmal einen Brief schreiben können. Statt dessen hatte er ihr einen Band mit preisgekrönten Gedichten des Jahres 1981 geschickt, mit einer einzeiligen Notiz auf dem Titelblatt: »Das sind meine Gefühle. Seite 197.« Das Gedicht eines anderen hatte für sein Herz sprechen müssen. Die Botschaft, die jetzt in seinen dunkelbraunen Augen stand, konnte sie nicht lesen. Er war zu weit entfernt, in Metern und in Jahren.
»Alles in Ordnung?« fragte er.
Sie nickte steif. Ihr Körper war immer noch wie betäubt von dem Schock, den sie bei ihrer Ankunft vor Naomis Haus erlitten hatte. Beim Anblick des Feuerballs auf dem Computerbildschirm waren sie in die Regennacht hinaus und zu Jonathans Mietwagen gerannt. Es war ihnen gelungen, den Parkplatz unbemerkt zu verlassen. Die Fahrt durch das Unwetter zu Naomis Haus in Indian Wells war eine Qual gewesen. Charlotte hatte die ganze Zeit über gebetet, daß das, was Jonathan und sie gerade gesehen hatten, wieder nur ein gefälschtes Video gewesen war.
Diese Hoffnung zerschlug sich sofort, als sie den Rauch erkannten, der den Himmel überzog, die Wasserbogen aus den Feuerwehrschläuchen, die Blaulichter der Mannschaftswagen. Trotz des Regens war die Straße von Gaffern blockiert. Ein Polizist wollte auch Charlotte verscheuchen, bis es ihr gelang, ihn zu überzeugen, daß das brennende Haus ihrer besten Freundin gehörte.
Eigentlich brannte das Haus nicht mehr, sondern schwelte im strömenden Regen, und während Charlotte fieberhaft nach Naomi suchte, begriff sie, daß es nicht vollständig zerstört, sondern nur schwer beschädigt war. Sie hörte, wie Leute meinten, der Hausbesitzer habe Glück gehabt, daß es so regnete.
Als sie ihre Freundin auf der Heckklappe des Ambulanzfahrzeugs sitzen sah, wäre Charlotte vor Erleichterung fast in Ohnmacht gefallen. Naomi hatte eine Decke um die Schultern, einen frischen Verband auf der Stirn und einen verwirrten Ausdruck im Gesicht.
Zuerst schien sie Charlotte nicht zu erkennen und warf nicht einmal einen Blick auf Jonathan, der Charlotte zunächst gefolgt war und sich dann rasch entfernte. Er verlor sich in der Menge, um seine eigenen Nachforschungen anzustellen.
»Naomi!« rief Charlotte. »Gott sei Dank, du lebst!« Auf dem Arm ihrer Freundin sah sie eine triefnasse, zitternde Katze. Es war die rotweiße, Juliette. Charlotte setzte sich neben Naomi und legte den Arm um sie. »Wie geht es dir? Kümmert man sich um dich?«
»Hallo, Charlie. Mir geht’s ganz gut.« Naomi strich das strähnige rote Haar aus der Stirn. »Ich habe Kopfschmerzen. Irgend etwas ist explodiert und hat mich weggeschleudert. Ich glaube, ich habe mir die Stirn verletzt. Hast du mein Haus gesehen?«
»Ja. O Gott, Naomi, es tut mir so schrecklich leid.«
»Und ich hatte gerade erst die Teppiche reinigen lassen!«
Charlotte suchte im Gesicht ihrer Freundin nach Anzeichen von Schock oder Gehirnerschütterung. Aber als sie in Naomis grünbraune Augen sah, in denen Tränen schimmerten, begriff sie, daß ihre Freundin nur einen Scherz gemacht hatte, wie immer in kritischen Situationen.
Charlottes Herz krampfte sich zusammen. Da saß die gute Naomi, die keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, im Arm eine patschnasse, völlig verängstigte Katze, und mußte zusehen, wie Männer mit Stiefeln durch das kleine Stuckhaus trampelten, das sie so liebte. Es machte sie ganz krank, Naomi so verwundbar zu sehen, Naomi, die immer die Starke gewesen war, die »Walküre der Wüste«, die damals vor acht Jahren, in der verhängnisvollen Nacht von Chalk Hill, selbst den Angriff angeführt hatte. Ein Kloß wuchs in Charlottes Kehle. Es ist alles meine Schuld. Ich habe dir das angetan.
»Sie ist rausgerannt«, erklärte Naomi und streichelte den Kopf der Katze. »Als ich die Tür öffnete, sauste sie ins Freie. Ich lief ihr nach. Hätte ich das nicht getan …« Sie schluckte mühsam. »Rodeo ist tot. Er war nur ein blinder, alter Kater, aber das hat er nicht verdient – als Brikett zu sterben.«
»Soll ich Mike anrufen?«
Naomi fuhr sich mit dem rußigen Arm über die Stirn. Als sie den Verband streifte, zuckte sie zusammen. »Das hat schon jemand getan. Er müßte gleich hier sein.«
»Kannst du bei ihm bleiben?«
»Klar. Sein Haus ist nicht abgebrannt.«
Einer der Feuerwehrleute, das Gesicht rauchgeschwärzt, kam näher. »Wir haben den Ursprung des Feuers gefunden,
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