Das Haus der Rajanis
Halsdies Tuch der Reizbarkeit und Boshaftigkeit ab und lege ein Gewand der Brüderlichkeit und Ehre an. Bist aber gegen uns du, dann werden einander den Krieg wir erklären. Welche Wahl also wählst du?»
Er schwieg und vergrub das Gesicht in den Händen.
Ich nutzte diesen Umstand, dass seine Augen bedeckt, und bemächtigte mich in aller Stille des Briefes, der auf seinem Tisch gelegen, ließ in meine Weste ihn gleiten und machte mich davon.
Der gute Engel hat soeben in meinem Zimmer mich aufgesucht, und ein großer Streit ward zwischen uns entfacht, da sein Blut in Rage über mich und das meine über ihn, und nachdem er gegangen und ich abermals vor meinem Heft Platz genommen, habe zwei Figuren ich gezeichnet – der eine ein großer Mann, der andere ein kleiner Junge, ersterer goldgelockt, letzterer schwarz gekraust –, die einander um den Hals fallen, und der Junge in meinem Heft bittet den Engel um Vergebung für all das Schlechte, das er an ihm getan, für die Briefe, die an den Kaimakan und die türkischen Polizeikräfte er schrieb, für die Lügen und Verleumdungen, die aus den Abgründen seiner Phantasie er ihm angehängt, für all das Böse, das aus reinstem Vorwand und bei klarstem Verstand er begangen, und der gute Engel, in seinen Augen die Tränen eines Opfers, fragt: «Aber warum, Salach? Warum hast all diese schlechten Taten du begangen?» Und der Junge senkt den Kopf und gesteht: «Ich selbst verstehe es nicht.» Und der gute Engel sagt: «Weißt du, Salach, trotz deiner Vergehen liebe ich dich, werde immer dich lieben, denn unsere gemeinsamen Stunden sind teuer mir, und das Lächeln auf deinen Lippen ist auf ewig bewahrt in meinem Herzen», und Salach verspricht ihm,er werde all seine Hefte verbrennen, da nicht das Geringste er gefunden in den kalten, stummen, erstarrten Wörtern auf ihren Seiten. Nur seine Liebe zu dem Engel, die Liebe eines Freundes zu einem anderen, eines Erwachsenen zu einem Kinde, eines Vaters zu seinem Sohne, sie ist die Wurzel seines ganzen Lebens, nach ihr schmachtet er und nach ihr verlangt es ihn, und der gute Engel sagt: «Ich kenne einen Poeten aus meinem Volke, dessen Reime sehr angenehm und klingend die Schönheit des Augenblickes einzufangen verstehen und einen für des Lebens Spektakel wecken. Warum versuchst nicht auch du, Salach, einmal an der Dichtkunst dich und füllst deine Hefte, anstatt mit Geschichten über lang schon vergangene Tage, mit Lob und Preisgesängen auf die Welt und ihre Pracht und Zierde?» Und Salach wird umfangen von seinem goldenen Haar, riecht sein Gewand, das getränkt von dem guten, vertrauten Wohlgeruch, und flüstert ihm zu und auch sich selbst: «Ich unterwerfe ganz mich dir.»
25. Januar 1896, Neve Shalom
In der Früh machte auf ich mich, den Brief meinen alten Freunden Salim und Salam zu bringen. Diese zwei pflegen wohl bis zur zehnten Stunde des Morgens zu schlummern, da in den Nächten sie mit Freudenfesten und Lustbarkeiten befasst, bei denen Männer in Frauenkleidern zu finden sind und alle Arten von alkoholischen Getränken, die den Muselmanen verboten, zudem Liebesakte, bei deren Beschreibung jedem rechtschaffenen Manne die Ohren klingeln und die Nackenhaare sich aufstellen würden, weshalb auch dieses Blatt Papiere ich nicht nötigen werde, solche zu ertragen.
Salim öffnete die Tür mir, sein Blick dank der frühen Stunde trübe noch, und lud mich ein in das Zimmer, in dem der durchdringende Geruch überreifer Feigen stand. Nachdem er Kaffee für uns dreie bereitet, begannen die beiden über alltägliche Nichtigkeiten zu sprechen, eine Art Vorspiel, das bei den Arabern großer Beliebtheit sich erfreut, ehe zum eigentlichen Zweck ihrer Rede sie kommen.
Schließlich sagte ich ihnen, dass meine Zeit knapp bemessen und es nun genug, und berichtete alsbald ihnen alles, was geschehen mit dem Jungen, der Geschichten und seiner Imagination entsprungene Phantastereien fabriziere und mich als Ränkeschmied von allerniederster moralischer Stufe beschrieben, als Intrigant, der einen Mord angezettelt und eine verheiratete Frau zu Ehebruch verführt.
Salim sagte, «Da ist ein Körnchen von Wahrheit in seinen Worten.»
«Möge Allah dich deine Seele aushauchen lassen», sagte ich.
«Weißt du», fragte Salam, «welche Strafe bei den Arabern des Ehebrechers harrt?»
«Nun, welche?», fragte ich.
Salam sagte, «Wenn, der Himmel bewahre, der Junge auf dem Wege eines Telegramms oder einfachen Briefes von dieser Sache seinen Onkeln
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