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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Augen und verzog maulend den Mund, während Barbara hilflos murmelte: »Ich wollte jetzt eigentlich gar nicht tanzen...«, wobei ihr ein Blick in das entschlossene Gesicht des Lehrers zeigte, daß er sie nicht würde entkommen lassen.
    Wenn sie den schrecklichen Tanz, bei dem sich ihr Partner für gewöhnlich keinerlei Mühe gab, seine Abneigung gegen sie zu verbergen, hinter sich gebracht hatte, flüchtete sie in die Toilette; aber auch dort stieß sie nur auf einen Haufen Mädchen, die sich vor den Spiegeln drängten, gackerten und alberten, gegenseitig Lippenstifte austauschten und mit ihren Abenteuern prahlten.
    »Ihr werdet es nicht glauben, Frank hat mir an den Busen gefaßt!«
    Barbara konnte von derartigen Übergriffen nur träumen.
    Natürlich war sie noch Jungfrau, als sie an die Uni kam, und sie hatte stets das düstere Gefühl, man könnte ihr das schon von weitem ansehen. Während der ersten beiden Semester blieb sie die Außenseiterin, die sie immer gewesen war, und sie nutzte ihr Ausgegrenztsein, um sich mit ganzer Energie und Konzentration auf ihr Studium zu stürzen. Die Erkenntnis, daß sie einen scharfen Verstand und eine ungewöhnlich rasche Auffassungsgabe besaß, stellte das erste wirkliche Erfolgserlebnis für sie dar und steigerte ihr Selbstbewußtsein um ein gutes Stück.
    Dann merkten auch ihre Kommilitonen, daß eine Intelligenzbestie unter ihnen saß, die die besten Noten abräumte und hohe Achtung bei den Professoren genoß. Manche waren neidisch, aber andererseits konnte man Barbaras Rat und ihre Hilfe bei verzwickten Problemen gut gebrauchen, und so hatte sie plötzlich eine ganze Menge Freunde. Sie begann herauszufinden, daß sie beliebt sein konnte, daß es ihr gelang, Bewunderung und Anerkennung einzuheimsen.
    Sie hatte den entscheidenden Kick erhalten. Sie verzichtete fortan auf »Pommes mit Mayo« und meldete sich in einem Gymnastickurs an. Als sie Ralph bei einem Seminar kennenlernte, war sie noch immer pummelig, aber bei weitem schlanker als vorher. Daß sich endlich ein Mann, und noch dazu der gutaussehende Ralph, für sie interessierte, spornte sie noch mehr an. Sie hungerte und turnte sich unter ihr Idealgewicht, verlieh ihrem straßenköterblonden Haar mit Hilfe des Friseurs einen goldenen Glanz, fand heraus, daß sie elegante Kleider mochte und über einen sicheren Geschmack verfügte.
    Rigoros drängte sie alles, was an die Barbara von einst erinnerte, so weit fort, wie es nur ging, versteckte die Wunden und Narben hinter tollen Noten und beachtlichen Erfolgen, hinter auffälligem Lippenstift und schicken Klamotten, hinter einem Selbstbewußtsein, von dem sie wußte, daß es manchmal forciert wirkte, aber immerhin seinen Zweck erfüllte: daß andere Menschen respektvoll und werbend mit ihr umgingen.
    Sie veränderte, verwandelte sich vollkommen, ohne daß sie es selbst richtig bemerkte und ohne daß sie auch nur einmal in Erwägung gezogen hätte, daß Ralph ihre Metamorphose nicht phantastisch finden könnte.
    Heute, an diesem Morgen, als Erinnerungen über sie herfielen, die sich schon seit Ewigkeiten nicht mehr hervorgewagt hatten, kam ihr plötzlich in den Sinn, daß sich Ralph in eine andere Frau verliebt hatte als in die, die sie heute geworden war. Vielleicht hatte ihn das keineswegs so glücklich gemacht, wie sie es als selbstverständlich vorausgesetzt hatte.
    Sie setzte sich im Bett auf, schlug die Decke zurück. All diesen Gedanken, diesen Bildern war sie ausgewichen wie einer ansteckenden Krankheit, erfolgreich ausgewichen, und sie würde nun nicht damit anfangen, sich ihnen hinzugeben. Sie durfte keinesfalls noch länger liegen bleiben. Sie mußte aufstehen und sich mit irgend etwas beschäftigen, am besten mit Frances Grays weiterem Schicksal, und...
    Unten im Haus läutete das Telefon.
    Es war genau das Richtige im Moment, eine willkommene Ablenkung. Sie sprang aus dem Bett, lief aus dem Zimmer und die Treppe hinunter und merkte erst dort, daß sie barfuß war und daß die Kälte wie mit Messern in ihre Füße schnitt. Sie sah, daß die Kellertür angelehnt stand; unten brannte Licht, und Ralph rumorte irgendwo herum, vermutlich bemühte er sich, die Heizung anzuwerfen. Barbara hoffte sehnlichst, er würde Erfolg haben. Sie zitterte bereits am ganzen Körper, denn in der Eile hatte sie sogar vergessen, einen Morgenmantel überzuziehen.
    »Ja?« meldete sie sich etwas atemlos.
    »Barbara? Hier ist Laura. Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt?«
    »Nein, ich

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