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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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verbunden, die an die Andockschleusen primitiver Raumfahrzeuge erinnerten. Als das Raumschiff das Tor hinter sich gebracht hatte, drehte es sich langsam um neunzig Grad um die Längsachse. Das Manöver ging sehr schwerfällig vonstatten, als gehorchte es einer anderen, langsameren Physik als die Bummelant . An dem kuppelartig geformten Teil des Rumpfes trat eine Veränderung auf; die undurchsichtige Verkleidung wurde erst milchig und dann durchsichtig, so als würde hinter einem Fenster Rauch abgesaugt. Hinter dem Fenster kam eine komplizierte Struktur zum Vorschein, eine ledrige Maschinerie biologischen Ursprungs …
    Die Maschinerie war ein Gesicht, das mich durch die Glasverkleidung eines Helms betrachtete. Es war nicht menschlich, doch ich konnte erkennen, dass es vor langer Zeit einmal einem Menschen gehört hatte. Es war, als sei das Gesicht aus einer Felswand gehauen worden und anschließend Äonen lang verwittert, bis die Gesichtszüge kaum mehr kenntlich waren. Allein der Augenabstand betrug über zehn Meter; das eigentliche Gesicht war zehnmal so breit. Der Mund war ein dunkler, unbeweglicher Abgrund in der Granitoberfläche der graugefärbten Haut. Die Nase und die Ohren glichen verwitterten Erhebungen an der Seite eines Hügels. Der Kopf schwoll am Hals an und ging in einen gewaltigen Körper über, der vom Dichtungsring des gewölbten Helms verdeckt wurde.
    Die Augen blinzelten. Es war weniger ein Blinzeln als ein astronomisches Ereignis, vergleichbar der Verfinsterung zweier umeinander umlaufender Himmelskörper. Es dauerte Minuten, bis die Lider sich geschlossen hatten: Weitere Minuten verstrichen, bis sie sich ganz allmählich wieder geöffnet hatten. Die Augen schauten mich an, doch ihr Blick wirkte unscharf und leblos.
    Die Gestalt schwebte näher heran. Von einer Seite des Rumpfes verwandelte sich eine Reihe von mit Gelenken versehenen Eiern in einen Arm mit Fingern am Ende. Die Finger waren baumgroß. Sie schlossen sich um die Bummelant , wobei der Rumpf widerhallte. Das Schiff erfasste meine Stimmung und war so schlau, keine Gegenmaßnahmen einzuleiten.
    Wie sich herausstellte, wollte der Kurator lediglich einen Berührungskontakt herstellen. Im Laufe von mehreren Stunden fuhr er mit der Hand über die Bummelant , umfasste und streichelte sie, als müsste er sich vergewissern, dass es sich um keine Sinnestäuschung handelte. Dann zog er die Hand langsam wieder zurück.
    Plötzlich ertönte wieder die dröhnende Stimme, die ich seit über elf Jahren nicht mehr vernommen hatte. Es war, als sei für den Kurator nur ein Moment verstrichen. »Außer Ihnen ist niemand da, Splitterling. Sie sind allein gekommen.«
    »Wir reisen immer allein, es sei denn, wir haben Gäste. Danke, dass Sie mich eingelassen haben.«
    Dem Gesicht des Riesenwesens war keine Veränderung anzumerken, dennoch hatte ich keinen Zweifel, dass der Kurator mit mir sprach. Welche Funktionen der Mund auch erfüllen mochte, das Sprechen gehörte offenbar nicht dazu.
    Das Wesen verharrte in der Schwebe, völlig reglos bis auf das gelegentliche Blinzeln der monströsen, teichartigen Augen. Es blinzelte etwa einmal pro Stunde.
    »Sie waren sehr geduldig, Splitterling.«
    »Man hat mir gesagt, dass Geduld vonnöten sein würde, Kurator.« Da mit bewusst war, wie leicht die Vigilanz zu erzürnen war, hatte ich das Gefühl, jedes Wort, das ich äußerte, sei eine Granate, die man mir gegebenenfalls ins Gesicht zurückschleudern würde. »Ist das die angemessene Anrede?«, fragte ich.
    »Für Sie schon«, erwiderte der Kurator. »Haben Sie einen Namen, abgesehen von der Bezeichnung Splitterling der Familie Gentian?«
    »Ich heiße Campion«, sagte ich.
    »Erzählen Sie mir von sich, Campion.«
    Ich gab ihm eine kurze Zusammenfassung meines Lebens. »Ich wurde vor sechs Millionen Jahren geboren, als einer von tausend männlichen und weiblichen Klons von Abigail Gentian. Meine früheste Erinnerung ist, dass ich als kleines Mädchen in einem großen, furchterregenden Haus lebte. Es war das einunddreißigste Jahrhundert, in der Goldenen Stunde.«
    »Sie haben einen weiten Weg zurückgelegt. Sie leben schon länger als fast alle anderen vernunftbegabten Wesen, einschließlich der Früheren.«
    »Ich hatte sehr, sehr großes Glück. Ich hatte Glück, in die Familie Gentian hineingeboren zu werden, Glück, dass ich so lange gelebt und nur einen Bruchteil der verstrichenen Zeit mitbekommen habe.«
    »Hätten Sie es als Unglück betrachtet, die Zeit

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