Das Haus der Sonnen
Außerdem läge es durchaus im Bereich meiner Möglichkeiten, einen solchen Arm hervorzubringen.« »Weshalb hätten Sie das tun sollen?«, fragte ich. Hesperus schaute betrübt drein. »Ich fürchte, jetzt betreten wir das Reich der Spekulation. Könnte ich Ihnen eine aufrichtige, unzweideutige Antwort geben, würde ich nicht zögern, es zu tun. So aber bin ich ebenso wie Sie auf Mutmaßungen angewiesen.« »Könnte Ihnen jemand die Transformation aufgezwungen haben?«, fragte Campion. »Sie aus irgendeinem Grund dazu genötigt haben?« »Ich wüsste nicht, welchen Grund es dafür hätte geben sollen. Desgleichen kann ich mir kaum vorstellen, wie man mich zu irgendetwas zwingen sollte.« »Sie werden gewiss verstehen, weshalb es mir lieber wäre, wenn jemand Sie genötigt hätte.« »Weil ich die Transformation absichtlich durchgeführt haben muss, wenn kein Zwang im Spiel war? Ja, daran habe ich auch schon gedacht.« Hesperus betrachtete seinen Arm mit neu erwachtem Widerwillen. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich die Verkleidung gern wieder anbringen.«
»Sie finden die Entdeckung anscheinend ebenso verstörend wie wir«, meinte ich erstaunt.
»Doktor Meninx’ Bestürzung war vollkommen berechtigt.«
»Wenn Sie möchten, können Sie den Arm wieder verstecken«, sagte ich, »doch ich finde ihn nicht abstoßend. Der Arm ist halt ein Teil von Ihnen. Wenn es ihn gibt, dann aus einem bestimmten Grund – auch wenn wir den nicht kennen.«
Campion bedachte mich mit seinem Sprich-für-dichselbst-Blick.
Hesperus streifte sich den Handschuh über die Finger, dann kniete er nieder und hob die herabgefallenen goldenen Verkleidungsteile auf. Er setzte sie mit erstaunlicher Geschwindigkeit ein, als wollte er sich des Anblicks so rasch wie möglich entledigen. Der Arm sah wieder so aus wie vorher, doch nun, da ich wusste, was sich darin verbarg, konnte ich mich der Vorstellung nicht erwehren, die Haut und die Muskeln wollten durch das Metall hindurch an die Oberfläche dringen.
»Was nun?«, fragte Campion leise.
»Hesperus und Doktor Meninx müssen sich noch aussprechen.« Ich blickte mich argwöhnisch um, als erwartete ich, der Papieravatar des Doktors könnte sich unbemerkt an uns angeschlichen haben. Als ich sah, dass wir unter uns waren, lächelte ich verlegen. »Vielleicht sollte erst Campion mit ihm sprechen, Hesperus. Ich schlage vor, dass Meninx Sie anschließend in Ihrer Kabine aufsucht und Sie ihm aus erster Hand Bericht erstatten.«
»Abgesehen davon, dass es nichts zu berichten gibt«, meinte Hesperus.
»Sagen Sie ihm das Gleiche, was Sie uns gesagt haben, dann hat er keinen Anlass, sich zu beklagen. Schließlich haben Sie das Thema von sich aus angeschnitten. Ich finde, das spricht für Sie.«
»Falls meine Anwesenheit nicht länger erwünscht sein sollte, begebe ich mich gern wieder in den Käfig.«
»Nein, das wird nicht nötig sein.«
Campion hob langsam die Hand. »Einen Moment – wir sollten nichts überstürzen. Auch wenn wir Hesperus keines vorsätzlichen Fehlverhaltens verdächtigen, gibt der Arm gleichwohl Anlass zur Sorge. Ich muss gestehen, solange Hesperus keine vernünftige Erklärung geben kann, behagt mir die Vorstellung nicht, dass er ungehindert im Schiff umherläuft. Vielleicht wäre es gar keine so schlechte Idee, wenn er freiwillig wieder in den Käfig gehen würde …«
»Ich habe nicht die Absicht, Ihnen Schaden zuzufügen. Das galt in der Vergangenheit und gilt auch jetzt, da ich diese Entdeckung gemacht habe«, sagte Hesperus.
»Ich weiß – und ich glaube Ihnen. Aber was ist, wenn der Arm andere Pläne hat?«
Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. »Das ist doch nur ein Fleischklumpen, Campion – er kann nicht unabhängig von Hesperus handeln. Nur weil du das Ding verstörend findest, wird es doch nicht gleich nachts in deine Kabine geschlichen kommen und dich erwürgen. Hesperus geht nicht in den Käfig zurück. Wenn du ihn nicht an Bord der Bummelant haben willst, ist er auf den Silberschwingen herzlich willkommen.«
»So habe ich das nicht gemeint.«
»Aber so hat es sich angehört. Er ist unser Gast, und wir haben uns bereiterklärt, ihm dabei zu helfen, seine Vergangenheit zu rekonstruieren. Der Arm ist nur ein weiterer Puzzlestein.«
»Ich möchte keinesfalls einen Keil zwischen Sie treiben«, sagte Hesperus.
»Ach, davon kann nicht die Rede sein«, beeilte ich mich zu erklären. »Das ist nur eine Kabbelei. Campion und ich sind einer Meinung – Sie
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