Das Haus der Tänzerin
ihren Gästen damit die Handgelenke. Genau das wollte ich auch tun – Parfum als Geschenk, als Segen verteilen. Parfum ist etwas Heiliges – denk an den Garten im Hohelied.
Emma dachte daran, wie Liberty ihr als Kind vorgelesen hatte, während sie unter einem Baum neben ihr lag: Seine Wangen sind wie Balsambeete, darin Gewürzkräuter sprießen, seine Lippen wie Lilien; sie tropfen von flüssiger Myrrhe. Das war Libertys Lieblingsvers gewesen.
Vielleicht hast du dich gefragt, weshalb ich der Rose als meinem Duft treu geblieben bin. Mitten im Heiligen Krieg brachten Soldaten, die von den Kreuzzügen nach Hause zurückkehrten, Damaszenerrosen mit. Das fand ich schön. Ich stelle mir gerne vor, dass sie sie den Frauen brachten, die sie liebten und die sie zurückgelassen hatten. Parfum ist Liebe. Kleopatra tauchte die Segel ihrer goldenen Barke in Rosenduft, und als sie Rom besuchte, hing der Duft noch lange in den Straßen. Parfum ist Romantik – deshalb hat es mir die Rose so angetan.
Ich bin jahrelang gereist, wie du weißt, als Jägerin der Düfte. Ich habe sie alle geliebt: Frangipani in den Tropen, Räucherwerk im Osten, gerösteter Kaffee und Benzin in Amerika. Am allermeisten hat mir das zusammen mit dir Spaß gemacht – erinnerst du dich? Ich habe dir das Sandelholz in Mysore und die Irisfelder in der Toskana gezeigt. So habe ich mein Handwerk erlernt, auf der Straße, auf der Suche nach Lieferanten in der Türkei und in Bulgarien, in Indien und Syrien und natürlich in Frankreich. Emma, alles, was ich gelernt habe, habe ich an dich weitergegeben, und du bist besser geworden als ich. Du bist eine Künstlerin der Düfte, die Erbin der Heiler, Alchimisten, Apotheker, du bist eine Zauberin! Vergiss das nie. Es braucht Zeit, einen großen Duft zu erschaffen, keine Eile. Ich habe acht Jahre gebraucht, um Chérie Farouche für dich zu kreieren, aber andererseits hast du achtzehn Jahre gebraucht, um zu der außergewöhnlichen Frau zu werden, für die ich das Parfum gemacht habe. Gutes kommt mit der Zeit.
Folge deinem Herzen, Emma, folge deiner Nase – lausche der leisen Stimme in deinem Inneren. Zerreiße anderen das Herz. Kreiere Parfums, die die Menschen daran erinnern, wie wunderbar es ist, am Leben zu sein. Denn so ist es, Em, es ist herrlich, zu leben, und die Leute müssen sich das ins Bewusstsein rufen und sich immer wieder die Zeit nehmen, die Blumen zu riechen.
In Liebe, Mum x
Während Emma in der Nacht schlief, bewohnten ihre Träume das Haus und erfüllten es mit Schätzen, Geheimnissen, dem Duft von Wäschetruhen und Gewürzen, dem Flüstern von einst gesprochenen Worten. Als an ihrem ersten Morgen in ihrem neuen Zuhause der Tag anbrach und sie wach wurde, versuchte sie sich zu orientieren. Der Rücken tat ihr weh, ihre Füße waren eiskalt. Sie lag auf dem Boden. Wessen Boden? Als sich ihre Augen dem Licht anpassten, das durch die geöffneten Fensterläden fiel, erinnerte sie sich.
Sie war in Spanien. Das war ihr Fußboden, ihr Haus, ihr Zuhause. Tausend Mal hatte sie sich diesen Augenblick vorgestellt, aufzuwachen in einem neuen Leben, in einem neuen Land.
Jetzt hörte sie es nur brummen. Zuerst fragte sie sich, ob das von einem Wecker irgendwo im Haus herrührte. Joe hatte so einen Wecker gehabt, als sie ihn kennengelernt hatte. Sie fand ihn so fürchterlich, dass sie ihn am ersten Morgen, an dem sie neben ihm aufwachte, aus dem Fenster geworfen hatte. Was ist das nur? , dachte sie und rieb sich die Augen. Ihre Finger färbten sich schwarz von dem Kajal, das sie am Abend zuvor nicht ganz hatte entfernen können. Zwinkernd schlug sie die Augen wieder auf.
»O Gott«, sagte sie laut. Emma war kein Mensch, der zu Hysterie neigte, aber selbst sie begriff, wie viel Glück sie gehabt hatte. Nicht weit über ihrem Kopf hing an den Dachsparren das größte Wespennest, das sie je gesehen hatte – grau, silbrig, wie ein wütender Geist vergangener Sommer. Langsam, ganz langsam kroch Emma aus den Decken hervor und schloss die Tür zu dem Raum. Sie verscheuchte eine neugierige Wespe, die ihr in den Gang gefolgt war.
Sie lehnte sich an die Wand, atmete schwer, eine Hand schützend auf ihren Bauch gelegt. Sie hasste Wespen, seit ihr Freya die zweifelhafte Geschichte von einer Tante erzählt hatte, die während eines Familienpicknicks eine Wespe, die in einer Limonadendose war, verschluckt hatte und inmitten von Scones und Marmelade erstickt war. Emma ließ sich derzeit von wenig beeindrucken. Sie war
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