Das Haus der Tänzerin
Prediger? , dachte sie. Nein, dafür ist er zu gut angezogen , hörte sie im Geiste ihre Mutter sagen. »Wer täte das nicht, an einem Ort wie diesem?«, sagte sie.
»Gut. Die Jungfrau – Sie kennen die Stadtpatronin von Valencia?«
»Die Jungfrau der Schutzlosen?«
» Sí , der Verrückten, der Vertriebenen.«
»Hat sie Wunder gewirkt?«
»Ja. Es heißt, sie wurde im vierzehnten Jahrhundert von einer Gruppe von Pilgern geschnitzt, die um Vorräte für vier Tage und einen verschlossenen Raum baten – der Wunsch wurde ihnen gewährt. Als die Tür geöffnet wurde, war die Jungfrau da, die Pilger aber waren verschwunden.«
»Wie?«
»Es waren natürlich Engel«, sagte er. Er machte ein ernstes Gesicht, aber als er den Kopf neigte, lächelte er. »Fragen Sie meine Mutter.«
»Sch!« Die Frau wandte sich um und zischte wieder. Emma betrachtete ihn im Profil, als er sich bei der Frau entschuldigte. Seine Nase sah wie die einer römischen Statue aus, vielleicht war sie einmal gebrochen. Es war erst früher Nachmittag, aber auf seiner Haut zeigten sich schon bläuliche Stoppeln.
Luca nahm Paco an der Hand und schob Emma aus der Kapelle. Eine ferne Erinnerung wurde in ihr wach. So fühlt sich das an , dachte sie. So ist das also, wenn man sich von einem Fremden angezogen fühlt.
Tauben flogen auf dem Platz auf, als sie nach draußen Richtung Basilika der Jungfrau gingen. Sobald sie im Freien und an den Bettlern mit ihren gewachsten Coca-Cola-Bechern vorbei waren, zog er eine Schachtel Zigaretten aus der Jacke und bot ihr eine an.
»Ich habe aufgehört«, sagte sie.
»Schade.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir sind am Aussterben.«
»Genau deshalb habe ich aufgehört.«
»Dann müssen wir uns eben ein anderes gemeinsames Laster suchen.« Er lächelte, die Zigarette zwischen gleichmäßigen weißen Zähnen.
»Es war nett, euch beide kennenzulernen«, sagte Emma und steckte die Hände in die Taschen ihres weiten Mantels.
»Willkommen in Valencia«, sagte er mit gespielter Höflichkeit. »Ich bin Luca de Santangel.«
»Emma Temple.«
»Emma«, murmelte er. Die Glocken begannen zu läuten. Er suchte in seiner Jackentasche und zog eine Karte heraus. »Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich an. Wir sind jetzt Nachbarn.« Sie drehte die Karte zwischen den Fingern. »Es tut mir leid, ich muss meine Mutter abholen.« Sie gingen bis zur Basilika der Jungfrau, aus der Horden kleiner, schwarz gekleideter Frauen quollen wie Ameisen im Einsatz.
»Es hat mich gefreut, Luca de Santangel.« Sie warf einen Blick auf die Karte. Santangel?, dachte sie und erinnerte sich an ihr Gespräch mit Fidel.
»Mich auch, Emma Temple.« Er hielt ihrem Blick stand und lächelte. »Das ist ein kleiner Ort hier – ich bin mir sicher, wir treffen uns bald wieder.«
21
Valencia, Mai 1937
Freya blieb oben an der Straße stehen, um Luft zu schnappen. Der Sonnenuntergang hinter den lavendelfarbenen Bergen strahlte wie ein Diamant, es war, als würde sie durch ein Glas blicken, das die Farbe von Waldbeeren hatte. Die Fenster glühten orange- und goldfarben vor dem rötlichen Himmel. Sie nahm ihren Koffer, stieß mit der Schulter das Tor der Villa del Valle auf und schritt über den gepflegten Weg. Sie klopfte an die frisch gestrichene, blaue Tür und hörte Schritte auf dem gefliesten Korridor. Die Tür ging auf.
» Sí? « Ein hübsches junges Mädchen steckte den Kopf heraus. Die Haare hatte sie sich aus dem Gesicht gekämmt. Ein Schönheitsfleck zwischen den Augenbrauen, und ihre dunklen, mandelförmigen Augen verliehen ihr etwas Orientalisches.
»Rosa del Valle?«, fragte Freya. Aus der Küche roch es verlockend.
»Nein, ich bin Macu. Kommen Sie, Rosa ist in der Küche.«
Freya folgte ihr durch den Gang in die Küche. Eine junge Frau, die dunkler und härter wirkte als Macu, zerrieb Kräuter in einem großen Steinmörser auf dem Tisch. Sie war schwarz gekleidet. Als sie aufstand und sich die Hände an der Schürze abwischte, sah Freya, dass sie hochschwanger war.
»Hola, buenas.« Freya trat vor und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Freya Temple – Spanish Medical Aid. In den Unterkünften für die Krankenschwestern gibt es keine Zimmer mehr, aber es hieß, Sie hätten vielleicht eines?«
»Sí, sí.« Rosa bedeutete ihr, mitzukommen. Sie wollte ihr den Koffer abnehmen.
»Nein, nein, das geht doch nicht. Nicht in Ihrem …«
Rosa lachte. »Das? Wenn es nach meinem Mann gehen würde, wäre ich draußen im Garten und
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