Das Haus der Tänzerin
waren sechs, auf jeder Seite einer mehr. Der Arzt hat sie nach der Geburt entfernt.«
Freya hob die Augenbrauen. »Sechs Finger? Nun«, sagte sie freundlich, »die Leute hatten schon immer Angst vor weisen Frauen.«
»Ich komme aus einer Familie von Gitano-Zigeunern. Sie haben in den Höhlen von Sacromonte gewohnt, dort bin ich aufgewachsen.«
»Ich habe von Sacromonte gehört. Ist das nicht der Ort, wo die Leute hinfahren, um die Zigeuner tanzen zu sehen?«
» Sí . Wir tanzen ständig, für Geld, nicht für Geld. Ich kann Geschichten von wirbelnden Derwischen erzählen und von muslimischen Propheten, die hierherkamen, lange bevor die Leute uns besuchten, um uns tanzen zu sehen. Dort habe ich es gelernt.«
»Flamenco?«
Rosa verzog das Gesicht und bewegte die Hand von einer Seite zur anderen. »Das ist viel mehr: die Musik, die Lieder – der cante jondo – es geht um …« Sie zeigte auf den Boden, tat so, als würde etwas aufsteigen. »Es geht um das Leben, duende …«
»Duende?«
»Geist. Manche sagen, es ist böse, ein Geist – aber es ist auch Magie.« Sie klopfte sich aufs Herz. »Leidenschaft. Kennen Sie Lorca? Den Dichter?«
»Ich habe einiges von ihm gelesen.« Freya blickte auf ihre Hände. »Ich habe gehört, was für einen furchtbar schrecklichen Tod er gestorben ist.«
»Federico war ein Freund von mir«, sagte Rosa stolz. »Angehörige meiner Familie haben für seine Familie gearbeitet. Seine frühere Haushälterin war meine Cousine. Als ich sie besucht habe, habe ich ihn kennengelernt. Er kam nach Sacromonte, um mich tanzen zu sehen.«
»Wirklich? Das ist wunderbar. Hat er Ihnen je etwas vorgelesen?«
»Ja. Er war ein freundlicher, ein guter Mensch. Er hat mir ein Buch von sich geschenkt.« Rosa ging zur Anrichte und zog ein Buch heraus, das hinter ein paar alten Kochbüchern versteckt war. »Ich habe es natürlich nie gelesen. Ich kann das nicht.«
Freya schlug es auf und sah Lorcas Widmung für Rosa. »Ich kann Ihnen helfen, wenn Sie möchten. Ich bringe Ihnen die Grundlagen bei.«
»Würden Sie das tun?« Rosas Augen leuchteten. Sie nahm Freya das Buch ab und strich mit den Fingern über den Einband, bevor sie es wieder zwischen den Kochbüchern versteckte. »Ich habe es hier aufbewahrt, weil Vicente sich nie die Kochbücher ansieht.« Sie blinzelte Freya zu. »Ich aber auch nicht. Ich will keine Kochbücher lesen, aber wenn Sie mir beibringen können, Lorca zu lesen, dann …« Sie senkte den Blick. »Sie haben ihn umgebracht. Diese hijos de puta haben ihn hier getroffen.« Sie deutete auf ihren Rücken. »Und nur, weil er gesagt hat, dass er Männer liebt.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber das ist doch egal! Liebe ist Liebe. Lorca war ein Genie.«
»Erzählen Sie weiter«, sagte Freya sanft.
Rosa schniefte und warf den Kopf zurück. »Als sie anfingen, meine Freunde zu töten, fand ich, es sei Zeit zu gehen. Ich bin nach Madrid, aber meine Familie ist nach Málaga.« Sie schüttelte den Kopf. »Haben Sie gehört, was sie in Málaga gemacht haben? Sie waren auf der Flucht, Hunderte, Tausende waren auf der Straße – Frauen, Kinder –, und was haben diese Faschistenschweine gemacht?« Sie schauderte, als sie sich an ihre Träume erinnerte, an das Dröhnen der Flugzeuge am Himmel.
»Ich habe gehört, dass die Flugzeuge die Flüchtlinge unter Beschuss genommen haben. Ein Freund hat erzählt, er hätte gesehen, wie sie ein Muster in die Menschenmenge auf der Straße zeichneten.«
»Das war meine Familie. Diese Muster, die sie gezeichnet haben, die Menschen, die sie getötet haben, das war meine Familie.« Sie klopfte sich wieder auf die Brust. »Ich habe es gespürt, als sie fielen.«
»Es ist unerträglich. Was ist das für eine Welt, in der Männer von Flugzeugen aus wehrlose Frauen und Kinder töten?«
»Das ist keine Welt, es ist die Hölle. Wir haben eine Hölle auf Erden geschaffen. Vielleicht ist der Tod besser. Ach, ich weiß, dass es auch einige Republikaner gibt, die sich schuldig gemacht haben. Meine Kameraden haben getötet … Aber im Vergleich zu dem, was die Faschisten machen?« Sie zog sich das Tuch enger um die Schultern.
»Sie haben überlebt, Sie haben das Baby. Das ist doch etwas.«
Rosa schaute sie gequält an. »Und wofür überlebt? Nur um den Mann zu verlieren, den ich liebe, den Vater meines Kindes.« Tränen standen ihr in den Augen. »Als ich Jordi in Madrid kennenlernte, fühlte ich mich durch ihn stark. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich
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