Das Haus der Tänzerin
mich frei. Er hat mir alles von der Politik erzählt – er hat mir zum ersten Mal die Augen geöffnet. Sie hätten erleben müssen, wie er redete, was für ein Gefühl er anderen vermittelte. Ohne ihn«, sagte sie und lächelte traurig, »ohne ihn fühle ich mich nicht mehr so stark. Nicht mehr so sicher. Aber ich spüre ihn immer noch. Vicente behauptet, er ist tot, er sagt, er hätte die Papiere gesehen, die man der Leiche abgenommen hat.«
»Warum haben Sie Vicente geheiratet? Hat er Sie gezwungen, Rosa? Er hat Ihnen doch nicht wehgetan, oder? Ich habe schon Männer wie ihn kennengelernt, man entwickelt ein Gespür für sie.«
Rosa schüttelte den Kopf. »Er … Vicente ist klug. Es ging mir so schlecht, als er erzählte, dass Jordi tot ist. Ich konnte tagelang nicht essen und schlafen. Ich wollte sterben. Als ich ihm das sagte, hat er geantwortet, ich soll an das Baby denken.« Sie sah Freya an. »Wir leben in schweren Zeiten. Ich wollte meinem Kind das Einzige geben, was ich ihm geben kann. Legitimation.«
»Ich verstehe.«
»Hier ist es im Moment sicher. Macu hilft mir im Haus. Sie ist ein gutes Mädchen.« Rosa lächelte Freya an. »Und wir beide sind nun Freundinnen. Du warst dazu bestimmt, hier zu sein. Ich spüre es.«
22
Valencia, Oktober 2001
Überall im Haus erklang das rhythmische Trommeln von Wassertropfen. Emma waren die Töpfe und Pfannen ausgegangen, um das Wasser aufzufangen. Sie saß frierend am Küchentisch. Als sie an diesem Morgen Kaffee kochen wollte, war das Feuer im Herd ausgegangen. Die Gasflasche war leer, das bedeutete, kein Frühstück und kein warmes Wasser zum Waschen, bevor der Gasmann später am Vormittag mit seiner Lieferung auf den Marktplatz kam. Emma schaute zu der Katze hinüber, die kläglich an der Hintertür miaute.
»Hallo, du schon wieder?« Die Katze blinzelte sie ungerührt an. »Hast du Hunger?« Emma suchte im Küchenschrank und nahm eine Dose heraus. »Wenigstens dir geht es gut.« Sie öffnete die Thunfischdose und stellte sie der Katze auf die Stufe. In dem schwachen Oktoberlicht sah sie ihr beim Fressen zu. »Wo hast du denn deine Jungen versteckt?« Sie ging in die Hocke und versuchte, der Katze über den schlanken Rücken zu streicheln. Die Katze fauchte und rannte mit einem Brocken Fisch im Maul davon. »Keine Sorge«, rief Emma ihr nach, »du musst dich nicht bedanken.« Sie lehnte sich an die Hintertür und betrachtete den verregneten Garten. Irgendwie sah er jetzt noch schlimmer aus, nachdem die Pflanzen, die alles bedeckt hatten, entfernt worden waren. Der Rasen war stoppelig und wirkte abgestorben, die umlaufenden Mauern mussten frisch gestrichen werden.
Emma zog sich den Mantel über den Schlafanzug und schlüpfte in ihre Gummistiefel, um im Schuppen nach einer weiteren Gasflasche zu suchen. Sie nahm sich die Taschenlampe und ging durch den Garten. Der alte Lagerraum war dunkel, und stille, staubige Spinnweben hingen an den Dachbalken. Sie leuchtete ins Innere des Schuppens. Es gab wenig Brauchbares hier drinnen, nur den Rasenmäher, den sie für Aziz gekauft hatte, und einen Kanister mit Benzin. Sie richtete die Taschenlampe wieder auf die Wand und ging auf eine Tür zu, die ihr bisher nicht aufgefallen war, da sie zum Teil hinter Bambusstangen und verrosteten Rechen verborgen war. Emma räumte sie weg und warf sie auf den fleckigen Betonboden. Das Holz hatte sich verzogen, und sie musste fest ziehen, um die Tür aufzubekommen. Zuerst sah sie nur Reihen von getrockneten Pflanzen, die am Lattenrost eines Schranks aufgehängt waren. Es sah aus wie ein versteinerter Wald. Dann bemerkte sie etwas hinten auf dem obersten Brett, einen dunklen Schatten. Sie griff tastend nach oben, suchte mit den Fingern im Staub, berührte Stein. Emma zog sich nach oben, hoffte, die Regalbretter würden ihr Gewicht aushalten, und holte einen schweren Steinmörser herunter. Er ist schön , dachte sie. Der muss sehr alt sein. Noch einmal streckte sie sich und suchte den Stößel. Er war ganz nach hinten gerollt und lag auf ein paar alten Büchern. Emma zog auch sie herunter und stolperte hustend wieder in den Garten hinaus.
An der Küchentür blieb Emma stehen. Eine kleine alte Frau, schwarz gekleidet und dürr wie ein Vogelskelett, lief in der Küche herum und strich mit der Hand über den alten Küchentisch. Ihre weißen Haare waren aus der hohen Stirn zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten gebunden. Der spitze Haaransatz zeigte auf einen Schönheitsfleck
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