Das Haus der Tänzerin
Aufstand angezettelt«, hatte eine Frau in der Nähe des Fischstands gesagt. »Wie wird es nun weitergehen?«
»Angeblich schicken sie baskische Kinder in Sicherheit. Sie werden sehen, Bilbao wird als Nächstes eingenommen«, sagte der Fischhändler zu einem Mann, während er Rosa in Zeitungspapier eingewickelten Tintenfisch in den Korb legte. Es gab nur das eine Thema – Gerüchte, Ängste, Spekulationen darüber, wie es ihnen in Valencia ergehen würde.
Kinder in Sicherheit schicken, dachte Rosa, als sie sich neben dem Tor der Villa del Valle anlehnte. Der Krieg schien immer näher zu kommen. Die weiß verputzte Mauer neben ihr strahlte Wärme aus, der Duft von Jasmin umgab sie. Rosa schirmte die Augen ab, atmete den betörenden Duft ein.
Sie trat in den kühlen blauen Schatten und lächelte traurig. Alles wäre so anders gewesen, wenn sie zu Jordi nach Hause gekommen wäre. Der Garten war schöner, als man es sich von der Straße aus vorstellen konnte. Die glühende Hitze des Gehsteigs war verschwunden, und sie sank mit den Füßen in dem Kies ein. Eine Wiese umgab das Haus, gesprenkelt mit weißen Blumen und Orangenbäumen. Rosa hatte das Gefühl, von einem duftenden, seidenen Umhang umhüllt zu werden. An den Mauern kletterten Bougainvilleen zum unendlichen blauen Himmel hinauf. Rosa lief wie verzaubert über den Weg, strich mit der Hand über den blühenden Lavendel. Die Kräuterbeete waren gut gepflegt und gerade gegossen worden, kühle Tropfen hingen an den Blättern. Sie war so gefangen von der Schönheit dieses Ortes, so betört von den Düften, dass sie völlig vergaß, wie nahe sie sich an der Rückseite von Vicentes Laden befand, eine Stelle, die sie normalerweise mied. Die Luft roch urplötzlich nach kaltem Blut, und sie blieb wie erstarrt stehen. Sie hörte erstickte Stimmen, das Lachen einer Frau hinter der Tür. Ihr Herz schlug schnell, sie streckte die Hand aus, zog die Tür auf, hielt den Atem an.
Vicente stand hinter der Theke, und eine Frau mit rot gefärbten Haaren, die sie vom Sehen aus der Stadt kannte, knöpfte sich gerade ihr Kleid zu. Sie hielt inne, als sie Rosa sah, und nahm rasch ihre Einkaufstüten.
Vicente wandte sich langsam zu Rosa um. »Ja?«
»Ich habe Gelächter gehört. Ich war nur … ich war neugierig.«
»Du weißt, was man über Katzen und Neugier sagt.«
Gedemütigt wirbelte Rosa herum, ihr Gesicht glühte.
»So, was kann ich für Sie tun?«, fragte Vicente die Frau.
»Ich glaube, für einen Tag haben Sie schon genug getan …«, hörte Rosa die Frau sagen. Rasch ging sie den Pfad hinauf zum Garten. Jordi , dachte Rosa und bemühte sich, etwas zu sehen, irgendetwas. Jordi, was ist passiert? Wo bist du?
24
Valencia, November 2001
Das Taxi hielt vor einer hohen weißen Mauer, und Emma lief über den roten unbefestigten Weg zur Finca der Santangels. Landarbeiter wärmten sich an einem Feuer aus Orangenholz an der Straße und tranken Cognac. Neben ihnen waren Obstkisten gestapelt.
Ein leichter Wind hob den Saum ihres Mantels an, und sie strich sich eine lose Strähne ihrer dunklen Haare aus dem Gesicht. In der Ferne tauchte eine kleine Gestalt auf dem Weg auf, ein kleiner Hund sprang hinter ihr her. Beim Näherkommen hörte Emma, wie die Frau den Hund schalt. Als die Frau aufblickte, erstarben ihr die Worte auf den Lippen. Sie ging Emma entgegen und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an.
»Buenos, Señora«, sagte Emma unsicher. »Luca de Santangel, por favor ?«
Die Frau warf den Kopf zurück und schaute zum Himmel. »Qué pasa, chica?« Die Frau lächelte, aber ihr Blick war stählern. »Was wollen Sie von meinem Sohn?«
»Señor de Santangel ist Ihr Sohn?« Sie streckte ihr die Hand entgegen. »Mein Name ist Emma Temple. Fidel hat vorgeschlagen, ich sollte mit Ihrer Familie reden …«
»Ach ja?«
»Ich bin gerade in die Villa del Valle gezogen.« Die Frau zuckte zusammen.
»Kommen Sie.« Sie bedeutete Emma, ihr zu folgen. Beim Gehen zeigte Lucas Mutter nach oben. Emma sah hinauf zum Himmel. Ein kleines weißes Flugzeug drehte über ihnen seine Runden. Das Motorengeräusch wurde leiser, als es den Landeanflug begann. Lucas Mutter ging weiter und folgte dem Flugzeug zu einer Lichtung in den Orangenhainen. Als sie ankamen, war das Flugzeug bereits auf der Piste gelandet und rollte zu einem Unterstand. Ein alter Mann, der im Schatten gesessen hatte, erhob sich mühsam und ging auf das Flugzeug zu. Vor ihm lief ein Husky, groß wie ein Wolf. Die Tür des
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