Das Haus der Tänzerin
Mutter an. »Es gibt doch nichts zu verlieren, wenn Emma ein bisschen herumspielen will.«
»Luca!«, schimpfte Paloma. »›Herumspielen‹ kannst du das ja wohl nicht nennen – Emma gehört zu den besten jungen Parfümeuren in der Branche.«
»Und, Emma«, fragte Olivier, der die Spannung spürte, »ist denn dein Mann mit dir hier?«
»Nein, ich … ich habe meinen Partner verloren.«
»Wie leichtsinnig!«
»Wir hatten uns getrennt. Und dann …« Sie spielte mit dem Medaillon an der Kette. »Er war in New York im World Trade Center, als die Angriffe passierten.«
Alle am Tisch schwiegen. »Das tut mir sehr leid«, sagte Paloma. »Wurde er getötet?«
»Er war einfach wie vom Erdboden verschluckt. Es ist …« Emma suchte nach Worten. »Eine Weile haben wir wohl noch gehofft, er würde wiederauftauchen. Man kann es nicht glauben.«
Dolores’ Züge wurden weicher. »Und das Baby, wusste er davon?«
Emma schüttelte den Kopf. »Joe war da schon mit einer anderen Frau verheiratet.«
»Armes Ding, ganz allein …«, begann Olivier. Bei seinen freundlichen Worten traten Emma Tränen in die Augen. Plötzlich war ihr viel zu heiß.
»Olivier.« Paloma versetzte ihm einen Tritt unter dem Tisch. »Das geht dich nichts an.«
»Ich komme klar. Ich kann selbst für mich sorgen. Und für das Baby.« Sie spürte, wie Luca sie von seinem Ende des Tisches aus betrachtete. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, einen Ellbogen auf der Armlehne, das Weinglas erhoben. Im Kerzenschein bekam sein Gesicht etwas Weiches, das ihr zuvor nie aufgefallen war.
»Ach, komm«, sagte Olivier, »wir alle brauchen jemanden.« Er legte Paloma den Arm um die Schultern. »Vielleicht mit der Zeit?«
Emma schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hatte Glück. Wir waren zehn Jahre glücklich miteinander. Jetzt habe ich das Baby, ein neues Zuhause und viel zu tun …«
»Zu viel zu tun für die Liebe?« Olivier lachte und durchbrach die Spannung. Er hielt sich die Ohren zu. »Aufhören! Das halte ich nicht aus.«
Paloma küsste ihn auf die Wange. »Mein Mann, der alte Romantiker.«
»Wo wohnst du denn?«, fragte er Emma.
»In der Villa del Valle.«
»Im Ernst? Bist du wahnsinnig?«
»Das scheinen hier alle zu denken.« Sie lachte, froh, das Thema wechseln zu können.
»Das Haus ist baufällig. Da kannst du doch nicht wohnen!«
»So schlimm ist es nicht. Die Handwerker, die Luca mir empfohlen hat, sind sehr nett. Ich genieße ihre Gesellschaft sogar.«
Dolores murmelte etwas vor sich hin. Emma sah auf die Uhr. »Ich sollte aufbrechen. Ich habe versprochen, rechtzeitig zurückzukommen, um noch ein paar Entscheidungen wegen der Holzarbeiten zu treffen«, log sie.
»Luca«, rief Paloma, »es macht dir doch nichts aus, Emma nach Hause zu fahren, oder?«
»Das ist nicht nötig«, sagte Emma. »Ich rufe mir ein Taxi. Mein Auto ist in der Werkstatt.«
»Jetzt wirst du kaum ein Taxi bekommen«, sagte Luca. »Es ist kein Problem. Ich kann dich auf dem Heimweg absetzen.«
Schweigend fuhren sie durch die dunkle Nacht, die Scheinwerfer beleuchteten Orangenbäume und stachelige Kaktusfeigen am Straßenrand, manchmal blitzen die Augen eines wilden Tieres auf. Die Wärme und Behaglichkeit des Rangerover entspannte Emma. »Ich dachte, du wohnst in der Finca«, sagte sie.
»Nicht alle spanischen Männer wohnen bei ihrer Mutter.« Lächelnd sah er sie von der Seite an. »Nein, ich habe dort ein Zimmer, aber meine Wohnung ist in El Carmen.«
»Der Stadtteil gefällt mir gut. Das Museum ist wunderschön.«
»Es gibt gute Bars dort, und es fühlt sich noch echt an.« Er schaltete das Radio ein. Sanft ertönte eine Flamencogitarre, die weichen Klänge durchdrangen die Luft wie ein Stein, der in ein stilles Gewässer fällt, hypnotisch und sinnlich. Emma ließ den Kopf zurücksinken. Nach der üppigen Mahlzeit fühlte sie sich angenehm schläfrig. Die dunklen Seitenwände des Autos schienen sich auf sie zuzubewegen, sich zusammenzuziehen. Wenn sie müde war, hatte sie oft festgestellt, dass sich ihr Raumgefühl zu ändern, flüssig zu werden schien. Emma warf einen kurzen Blick auf Lucas Silhouette. Sie konzentrierte sich auf seine Lippen – sie waren voll, geschwungen. Er war ihr nah. Sie dachte daran, wie Liberty im Garten das Hohelied wie eine Beschwörungsformel rezitiert hatte: Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes … Honig und Milch ist unter deiner Zunge … Emma fragte sich müde, wie es wohl wäre, ihn zu küssen. Er drehte den Kopf zu
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