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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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essen vertragen können.«
    Lily hockt auf dem Weg und funkelt sie wütend an wie eine Göre, die aus dem Nichts durch eine Böe versehentlich herangeweht wurde.
    Dougie stellt den Koffer ab. »Gern geschehen«, sagt er. »Man kann sie ja nicht aufs Geratewohl durch die Gegend wandern lassen. Man weiß ja nie, wem sie über den Weg laufen könnten.«
    »Verpiss dich!«, zischt Lily. »Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
    »Lily, du bist erst neun Jahre alt«, stellt Felicity fest. Sie zwingt sich, ein helles, nachsichtiges Lachen irgendwo aus ihrem Inneren auszustoßen.
    »Ach, verpiss dich!«, wiederholt das Kind.
    Sie tritt einen Schritt vor. »Gib mir die Hand«, befiehlt sie ihr. Schnippt mit den Fingern, wie man es bei einem Hund macht.
    Sie tauschen einen Blick. Wehe dir, wenn du jetzt ein Theater veranstaltest, droht sie ihr im Stillen. Wehe dir, wenn du mir heute noch irgendwie auf die Nerven gehst …
    Lily rührt sich nicht.
    Felicity Blakemore verliert die Geduld. Packt das Kind am Handgelenk und macht sich daran, es hochzuziehen. Lily hält kräftig dagegen. Stemmt die Absätze in den Boden.
    Leistet Widerstand. Ihr schießt ein Gedanke durch den Kopf, eine Erinnerung an ihre eigene Kindheit: Ein Kälbchen, das im alten Schlachthaus hinter der Scheune das Blut roch, geriet in Panik und versuchte sich loszureißen. Die drei Knechte, die sich gemeinsam daraufwarfen, es überwältigten und dann, während es unentwegt schrie, durch die Tür zogen.
    »Lass mich los! Lass mich los!«, kreischt Lily.
    »Vielen Dank, Dougie«, ruft sie wieder. »Ich sehe Sie am Sonntag.«
    Und dann sind nur noch sie zwei da, die miteinander kämpfen, während sie Lily den Weg entlangzerrt. Lily kickt um sich, verpasst ihr einen schmerzhaften Tritt gegen den Fußknöchel, als sie durch den Hauseingang kommen. »Au! Au!«
    Sie knallt die Tür zu. Schleudert das Kind zu Boden und holt zu einem Tritt aus, der Lily am Oberschenkel trifft. Sie bückt sich, um sich den Knöchel zu reiben und schnauzt: »Das reicht jetzt! Endgültig!«
    Ihr Knöchel tut weh, als sei er von einer Eisenstange getroffen worden. Tränen steigen ihr in die Augen. Ich werde es nicht tun. Ich werde nicht weinen. Er hat mich nicht zum Weinen bringen können, und dieses Kind wird es schon gar nicht … dieses widerliche Kind …
    Lily hat sich auf den kalten Steinfliesen zusammengerollt und japst nach Luft.
    »Geh auf dein Zimmer! Mach schon. Steh auf!«
    Sie hebt den Kopf und bleckt die Zähne. »Nein! Das mache ich nicht! Ich bleibe nicht hier, verdammt!«
    »Geh in dein Zimmer!«
    »Verpiss dich!«
    »Na, schön«, sagt sie. »Wenn du nicht auf dein Zimmer gehen willst – es gibt auch andere Orte.«
    »Das wirst du nicht wagen«, entgegnet Lily.
    »Glaub mir, junge Dame, es gibt nichts, was ich im Hinblick auf dich nicht wagen würde. Gehst du jetzt in dein Zimmer, oder muss ich dich wieder in den Schrank sperren?«
    Lily richtet sich auf. Faucht sie wie eine Katze an: »Verpiss dich!«
    Sie kann sich nicht zurückhalten. Geht zum Angriff über. Packt das Kind am Schlafittchen und schlägt ihm fest gegen den Kopf. Ich kann es nicht ertragen. Ich kann es einfach nicht ertragen. Du verdammte kleine … ich kann nicht …
    »Du … machst … jetzt, … was … man … dir … sagt …«
    »Au! Au! Hör auf!«
    Sie bemerkt, dass sie nach Luft ringt. Lässt sie los und beobachtet, wie Lily die Arme um ihren Kopf schlingt.
    »Ich … habe … dich … gewarnt …«
    »Du Hexe! Du Hexe!«
    »Geh jetzt die Treppe hinauf. Geh schon! Ich habe die Nase voll! Gestrichen voll! Du hattest deine Chance! Jetzt kannst du ein paar Stunden im Dunkeln haben. Das wird dir Manieren beibringen!«
    Lily rappelt sich auf die Füße, stürzt in Richtung Tür. Felicity ist schnell. Sie knallt sie zu, als Lily sie aufreißen will. Lily lehnt – kauert sich dagegen. Ihr Gesichtsausdruck ist rebellisch, wütend, verächtlich. »Ich bleibe nicht hier«, sagt sie. »Ich bleibe nicht hier, verdammt.«
    »Tja, wo in aller Welt willst du denn hin?«
    »Irgendwohin«, antwortet Lily. »Ist mir egal. Irgendwohin.«
    »Na ja«, sagt sie und verspürt unerklärlicherweise ein Gefühl des Triumphs, »du kannst aber nirgendwohin. Wir haben einander am Hals, ob es dir gefällt oder nicht.«
    Lily bricht in Tränen aus.
    »Ich will zu meiner Mum! Ich will zu meiner Mum!«
    »Ach, sei doch still«, sagt Felicity Blakemore spöttisch. Zieht sie hoch und schüttelt sie. »Hör auf damit!«
    »Ich sag

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