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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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an die Unmenge von Werbepost halten – Angebote für Kreditkarten, Kreditangebote, teure Reisebroschüren –, die sich immer auf seiner Fußmatte türmt.
    »Nick«, ruft sie, »machen Sie die Tür hinter sich zu.«
    Er schaut ein bisschen verblüfft drein, dass sie ihn mit seinem Namen anspricht. Stiert sie wie ein Kugelfisch an und geht die Stufen hinunter.
    »Im Ernst«, ruft Carol, »machen Sie die Tür zu. Vielleicht ist es Ihnen nicht klar, aber da ist jemand hinter den Mülltonnen.«
    Er fährt zusammen. Er ist tatsächlich für eine Sekunde erschrocken, denkt sie. Wenn es etwas gibt, wovor ein Yuppie mehr Angst hat als vor einem Autodieb, dann ist das ein Straßenräuber.
    »Scheiße«, ruft Carol. »Komm da raus, ja?«
    Kieran richtet sich auf, tritt hervor.
    Nick stellt sich ihm auf der Treppe in den Weg. Steht halb in, halb vor der Tür wie ein kleines Kind, das ganz dringend auf die Toilette muss. Beide blicken Kieran an. Carol unterdrückt den Drang, loszulachen. Er sieht heute Abend richtig absurd aus. Hat schon immer unter der Wahnvorstellung gelitten, ein Actionheld zu sein – Action, die nie zu mehr gereicht hat, als zur Nennung im Telefonbuch –, und heute Abend hat er sich genau dementsprechend angezogen. Er trägt Schwarz. Schwarzer Pullover, schwarze Jeans, schwarze Schuhe und – sie brüllt vor Lachen beinahe los, als sie das sieht – einen kleinen schwarzen Hut, der seine schwarzen Haare bedeckt. Mein Gott, denkt sie: Er braucht nichts weiter als ein paar Schmutzstreifen auf den Wangen, dann könnte er glatt für Ross Kemp einspringen.
    »Verpiss dich, Kieran!«, ruft sie.
    Kieran tritt ein Stück vor, steht auf dem Weg, die Arme defensiv vor dem Körper verschränkt. »Du hast mir nicht zu sagen, dass ich mich verpissen soll«, schimpft er.
    »Verpiss dich«, wiederholt sie.
    »Ich möchte nur mein kleines Mädchen sehen«, sagt Kieran.
    »Nicht um ein Uhr in der Nacht«, erklärt Carol.
    Die Alarmanlage heult immer noch. Nick scheint unschlüssig zu sein, was er tun soll. Er schaut zum Auto, schaut zu Carol hinauf, schaut Kieran an, der zwischen ihm und der Straße steht, bleibt aber wie angewurzelt an Ort und Stelle.
    »Du kennst dich damit überhaupt nicht aus«, sagt Kieran. »Und ob«, antwortet Carol, »glaub mir. Gegen dich ist eine einstweilige Verfügung erlassen worden, Kieran, und du hältst dich einfach nicht daran, was? Du kannst nur dich selbst dafür verantwortlich machen.«
    »Ich möchte einfach nur mein Kind sehen, verdammt«, wiederholt Kieran.
    »Na ja, das geht nicht«, antwortet sie. »Sie möchte dich nicht sehen. Und außerdem ist sie gar nicht da. Keine von beiden.«
    Sie weiß, dass sie schroff ist, aber sie ist so wütend – auf ihn, auf die ganze Situation, auf seine sture Rüpelei, auf die Art und Weise, wie er seine Frau und sein Kind als seinen Besitz betrachtet, mit dem er machen kann, was er will, und auf die Tatsache, dass es an ihr hängenbleibt, es ihm zu verklickern, weil Bridget zu große Angst vor seiner Reaktion hat, um es selbst zu tun – und sie kann es sich nicht verkneifen: Sie findet, dass er das kriegt, was er verdient. Genau. Nein, eigentlich hätte er eine härtere Strafe verdient.
    »Sie sind fort«, fügt sie verächtlich hinzu. »Fort, um von dir wegzukommen.«
    Für einen Augenblick ist das einzige Geräusch das Heulen der Alarmanlage. Dann fragt er: »Was meinst du damit?« Und seine Stimme klingt plötzlich anders. Nicht länger nach Schmeichelei, nicht länger nach dem Daddy, der schlecht behandelt wird. Sowohl sie als auch Nick hören die angedeutete Drohung in seiner Stimme.
    »Sie sind fort«, wiederholt sie. »Fortgezogen. Ausgezogen. Haben die Schlüssel abgegeben und sich aus dem Staub gemacht.«
    »Was meinst du damit?«
    »Du hast es gehört«, ruft sie. »Jetzt verpiss dich und lass uns alle in Ruhe.«
    Das ist nicht gut so, denkt sie. Es ist ein Uhr in der Nacht, und ich bin fix und fertig, und wahrscheinlich mache ich alles nur noch schlimmer. Aber pfeif drauf. Seit wann hat Kieran eine sanfte Behandlung verdient?
    Nebenan geht ein Fenster auf. Eine Stimme, schlaftrunken, brüllt: »Haltet das Maul da draußen! Wisst ihr, wie viel Uhr es ist? Hier gibt es Leute, die schlafen wollen!«
    »Tut mir leid«, schreit Carol zurück, »es wird nicht mehr lange dauern.«
    »Was heißt das, wird nicht mehr lange dauern?« Eine andere Stimme, die einer Frau, ermutigt durch das Eingreifen des Nachbarn, ist von dem Mansardenfenster

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