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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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Versteck quetschen.«
    »Ach, ja«, sagt Bridget. »Das habe ich auch immer gern gespielt. Wo willst du dich denn verstecken?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Na ja, wie wäre es hier drunter?« Sie deutet mit ihrem Lappen in Richtung des riesigen, mit einem Tischtuch bedeckten Tischs.
    »Pah!«, ächzt Yasmin. »Mum, hast du sie noch alle? Da schauen sie doch zuallererst nach!«
    Wie lustig, denkt Bridget, sie verliert bereits ihren Londoner Akzent, und dabei ist sie erst seit ein paar Tagen mit diesen Kindern zusammen. An Neujahr wird sie schon wie ein echtes Cornwall-Gewächs klingen.
    »Na ja, ich weiß nicht.«
    Einunddreißig … zweiunddreißig …
    Yasmin tritt von einem Fuß auf den anderen, als merke sie plötzlich, dass sie auf heißen Kohlen steht. »Beeil dich! Die zählen nur bis fünfzig!«
    Bridget schaut sich um. Hinter den Vorhängen? Hinter dem Sofa im zweiten Salon? Zu einfach. Und nicht genügend Platz.
    Ihr fällt etwas ein. »Komm mit! Schnell!«
    Sie hat bemerkt, dass der Fenstersitz im Wohnzimmer, der die ganze Länge der Südmauer einnimmt, aufklappbar ist und Stauraum bietet. Nicht etwa, dass sich darin, abgesehen von Staubsaugerzubehör, ein paar halb abgebrannten Kerzen und einer Schachtel en gros gekaufter Porzellanteller und jeder Menge Staub, noch etwas anderes befinden würde. Es handelt sich um eine jener Besonderheiten, die ein Haus zu einem Feriendomizil machen. Alles, was wirklich von Wert ist – sentimental oder finanziell –, ist schon vor Jahren abtransportiert worden.
    Sie streckt die Hand nach ihrer Tochter aus, und sie laufen leise ins Wohnzimmer. Bridget hebt die Klappe des mittleren Sitzteils hoch.
    »Komm schon!«, sagt sie. »Da ist jede Menge Platz.«
    Yasmin schaut sie verdutzt an, als sei sie erst jetzt darauf gekommen, dass sie unabhängig denken kann. »Klasse!«, sagt sie. »Wie hast du das herausgefunden?«
    »Ich weiß alles, Darling«, antwortet Bridget. »Das weißt du doch. Jetzt beeil dich und steig hinein.«
    Dreiundvierzig … vierundvierzig …
    Es ist genügend Platz darin, um eine ganze Armee zu beherbergen. Das Einzige, was Yasmin verraten könnte, ist, dass sie so leicht kichert. Sie steigt hinein, legt sich hinein wie eine Prinzessin in einen gläsernen Sarg und kreuzt die Arme über der Brust. »Okay«, sagt sie.
    Bridget schließt die Klappe und schlendert lässig zu ihrer Putzarbeit zurück. Sie muss jetzt nur noch das H von EUCH entfernen. Sie greift nach dem Palettenmesser und kratzt die oberen Schichten ab, sprüht Glasreiniger über den Fleck.
    Wir kommen …
    Eine Herde Wasserbüffel kommt aus dem großen Schlafzimmer heruntergetrampelt.
    Bridget reibt über den Spiegel. Das muss ein sehr fetthaltiger Lippenstift gewesen sein: Theaterlippenstift, von der Art von Fettschminke, die man in Stummfilmen aus den Dreißigern und Vierzigern sieht. Es dauert eine Ewigkeit, bis man die Flecken davon wegbekommt.
    Das Geräusch der Schritte und der Stimmen zerstreut sich, verebbt. Sie stellt sich vor, wie Yasmin in ihrem hölzernen Sarg liegt und sich windet, weil sie sich so anstrengt, den Drang, herauszuspringen und allen zu zeigen, wie schlau sie war, zu unterdrücken.
    Ein paar Kinder kommen die Treppe heruntergedonnert, kreischen und bleiben stehen, als sie sie sehen.
    »Hallo, Leo«, sagt sie. »Hallo, Rain.«
    Sie mag Leo nicht sonderlich. Er ist einer jener stämmigen Jungen, die dazu neigen, den anderen die Dinge streng und ohne Lächeln zu erklären. Sie vermutet, dass er möglicherweise ein kleiner Quälgeist ist: Jedenfalls scheinen die meisten anderen Kinder ihm aufs Wort zu gehorchen, wenn er einen Befehl ausgibt.
    »Hallo«, sagt der Junge. Er stemmt die Hände in die Hüften und blickt sich gründlich um, schaut ihr jedoch nicht ein einziges Mal in die Augen. Manche Kinder sind eben so. Das ist keine soziale Feststellung, sie halten Erwachsene ihrer Aufmerksamkeit eben nicht für würdig, es sei denn, sie wollen etwas von ihnen.
    »Spielt ihr irgendwas?«
    »Ja.«
    »Verstecken?«
    Sein Blick huscht zu ihr hinüber. Nein, sie sieht, dass er denkt, sie ist eine Erwachsene und außerdem werden wir sie nach dieser Woche nie wiedersehen. Sie ist die Mühe also nicht wert, es ihr zu erklären.
    »So etwas Ähnliches«, sagt er. »Haben Sie Yasmin gesehen?«
    Na ja, zumindest ist meine Tochter nicht unter seiner Würde. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir das sagen darf«, neckt sie ihn.
    Er hält mich für völlig verrückt. Es ist lustig, wie

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