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Das Haus der verschwundenen Jahre

Das Haus der verschwundenen Jahre

Titel: Das Haus der verschwundenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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wir ihr ein sicheres Plätzchen verschafft.«
    Während er das sagte, miaute es aus dem Wohnzimmer, und plötzlich stand Sausewind in der Tür. Rictus knurrte. »Mach, daß du hier raus kommst, Miezi!« fauchte er. »Siehst du nicht, daß wir gerade mitten in einer Unterhaltung sind?«
    Aber Sausewind ließ sich nicht so leicht einschüchtern. Sie spazierte zu Harvey hinüber und rieb sich an seinem Bein.
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    »Was willst du denn?« fragte Harvey und ging in die Hocke, um sie zu streicheln. Sie schnurrte laut.
    »He, das ist ja ganz prima«, sagte Rictus und versteckte seine Wut hinter einem frisch polierten Lächeln. »Du magst die Katze, die Katze mag dich, und jeder ist glücklich.«
    »Ich bin nicht glücklich«, sagte Harvey.
    »Und warum?«
    »Weil ich meine ganzen Geschenke hier gelassen habe und nicht mehr weiß, wo.«
    »Kein Problem«, sagte Rictus, »ich werd’ sie für dich suchen.«
    »Würdest du das wirklich tun?« fragte Harvey.
    »Aber klar, mein Kind«, sagte Rictus, überzeugt, daß sein Charme wieder wirkte. »Dafür sind wir schließlich alle da: um dir deine Herzenswünsche zu erfüllen.«
    »Möglich, daß ich sie vielleicht oben in meinem Schlafzimmer gelassen habe«, schlug Harvey vor.
    »Weißt du, ich glaube, ich hab’ sie wirklich dort oben gesehen«, antwortete Rictus. »Bleib du nur hier, ich bin gleich wieder da.«
    Er nahm zwei, drei Stufen auf einmal und pfiff beim Hinaufgehen geräuschlos durch die Zähne. Harvey wartete ab, bis er außer Sichtweite war. Er wollte nachschauen, was Wendell machte, und ließ dabei Sausewind entwischen.
    »Aha, soso, schau, schau!« rief eine Stimme, als er in der Küchentür auftauchte.
    Es war Jive. Spillerig wie eh und je stand er am Herd und jonglierte mit einer Hand die Eier, während er mit der anderen in einer Pfanne Pfannkuchen wendete.
    »Wie hättest du’s denn gern?« fragte er. »Süß oder pikant?«
    »Gar nicht«, sagte Harvey.
    »Schmeckt beides gut«, machte sich Wendel bemerkbar, der hinter einer Mauer aus vollen Tellern fast verschwand. »Probier die Apfelkrapfen! Die sind toll!«
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    Harvey geriet arg in Versuchung. Das Angebot sah einfach allzu verführerisch aus. Aber es bestand aus Staub, das mußte er sich immer wieder einhämmern.
    »Vielleicht später«, sagte er und wandte den Blick von den siruptropfenden Waffeln und den Eiscremeschüsseln ab.
    »Wohin gehst du?« wollte Jive wissen.
    »Mr. Rictus sucht ein paar Geschenke für mich«, sagte Harvey.
    Jive lächelte befriedigt und rief: »Also machst du dir’s ab jetzt wieder richtig gemütlich, Kindchen! Gut für dich!«
    »Ich habe mich danach gesehnt, hier zu sein«, antwortete Harvey.
    Jive durfte auf keinen Fall die Lüge in seinen Augen sehen, deshalb machte er, daß er fortkam. Er drehte sich um und ging wieder in die Diele zurück. Sausewind war immer noch da und starrte ihn an.
    »Was ist los?« fragte er.
    Die Katze spazierte in Richtung Treppe, dann blieb sie stehen und schaute zu ihm zurück.
    »Möchtest du mir etwas zeigen?« flüsterte Harvey.
    Daraufhin hopste die Katze weiter fort, und Harvey folgte hinterdrein. Er hatte erwartet, sie würde ihn nach oben führen, aber ehe sie die unterste Stufe erreicht hatte, bog sie nach links ab und führte Harvey einen schmalen Gang zu einer Tür hinunter, die ihm zuvor noch nie aufgefallen war.
    Er rüttelte am Türgriff, doch die Tür war abgeschlossen. Er drehte sich nach Sausewind um und sah, daß sie sich mit einem Katzenbuckel am Bein eines Tischchens rieb, das in der Nähe stand. Auf dem Tisch stand eine Holzschachtel, und in der Schachtel war ein Schlüssel.
    Er ging zurück zur Tür, sperrte auf und öffnete sie. Vor ihm lag eine steile Holztreppe, die hinunter ins Dunkle führte. Von dort unten roch es säuerlich und klamm herauf. Wahrscheinlich hätte er keine Neigung verspürt hinunterzugehen, wenn nicht 152

    Sausewind an ihm vorbei in die Finsternis gerannt wäre.
    Immer hinter Sausewind her tastete er sich mit den Fingern links und rechts an den feuchten Wänden entlang bis zum Ende der Treppe und zählte beim Gehen die Stufen. Zweiundfünfzig waren es insgesamt. Als er unten angekommen war, hatten sich seine Augen bereits einigermaßen an die Düsternis gewöhnt.
    Bis auf einen Trümmerhaufen und eine große Holzkiste war das Kellergewölbe leer. Die Kiste lag ungefähr zwölf Meter von ihm entfernt im Staub.
    »Was ist das?« zischte er Sausewind zu, obwohl er wußte, daß das Geschöpf nicht

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