Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der verschwundenen Jahre

Das Haus der verschwundenen Jahre

Titel: Das Haus der verschwundenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
verloren.«
    »Mach dir keine Vorwürfe«, sagte sie. »Wir alle geraten hin und wieder in Versuchung, Dinge zu tun, die wir hinterher bedauern. Manchmal treffen wir eine falsche Entscheidung und machen Fehler.«
    »Ich wünsche mir nur, ich wüßte, wie man das Ganze unge-schehen machen könnte«, antwortete Harvey.
    Im Laufe des Vormittags ging seine Mutter zum Einkaufen, und Harvey blieb zurück. Der Gedanke ließ ihn nicht los. Gab es eine Möglichkeit, den einmal angerichteten Schaden wiedergutzumachen? Konnte man sich die gestohlenen Jahre 137

    zurückholen und sie hier mit den Menschen verleben, die ihn liebten und die er genauso innig liebte?
    Er saß an seinem Schlafzimmerfenster und versuchte, das Problem zu lösen, da sah er eine einsame Gestalt an der Straßenecke. Rasch öffnete er das Fenster und schrie hinunter:
    »Wendell! Wendell! Hier herüber!«
    Dann raste er die Treppe hinunter, und als er zur Tür kam, stand sein Freund schon mit hochrotem Kopf auf der Treppe.
    Sein Gesicht war ganz naß vor Tränen und Schweiß.
    »Was ist bloß geschehen?« fragte er. »Alles hat sich verändert.« Ein Schluckauf betonte jedes einzelne Wort. »Mein Papa hat sich von meiner Mama scheiden lassen, und meine Mama ist so alt, Harvey, und fett wie eine Tonne.« Er wischte sich seine laufende Nase am Handrücken ab und schniefte laut. »So sollte es doch nicht sein!« rief er. »Oder?«
    Harvey erklärte ihm, so gut es ging, wie das Haus sie beide betrogen hatte, aber Wendell stand nicht der Sinn nach theore-tischen Erklärungen. Er wollte nur, daß dieser Alptraum endlich aufhörte.
    »Ich möchte, daß die Dinge wieder so sind, wie sie waren«, jammerte er.
    »Mein Vater ist zur Polizei gegangen«, sagte Harvey. »Er wird ihnen alles erzählen.«
    »Das wird auch nichts nützen«, schluchzte Wendell verzweifelt. »Die werden das Haus nie finden.«
    »Da hast du recht«, sagte Harvey. »Ich habe zusammen mit Mama und Papa danach gesucht, aber ohne Erfolg. Es versteckt sich.«
    »Klar, du Dummkopf, vor denen muß es sich ja verstecken«, sagte Wendell. »Erwachsene kann es nicht leiden.«
    »Da hast du recht«, rief Harvey. »Es mag nur Kinder. Und ich wette, daß es dich und mich mehr mag als je zuvor.«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Es hatte uns ja beinahe schon. Es hatte uns ja schon beinahe 138

    mit Haut und Haar verschlungen.«
    »Du glaubst also, daß es noch immer Appetit auf uns hat?«
    »Da bin ich mir ganz sicher.«
    Wendell starrte einen Augenblick auf seine Füße hinunter.
    »Du meinst also, wir sollten zurückgehen, ja?«
    »Jedenfalls glaube ich nicht, daß die Erwachsenen – meine Eltern, deine und die Polizei – das Haus je finden werden.
    Wenn wir die ganzen Jahre zurückhaben wollen, müssen wir sie uns selber holen.«
    »Die Idee gefällt mir nicht besonders«, gestand Wendell.
    »Mir auch nicht«, sagte Harvey, denn dabei fiel ihm ein, daß er seinen Eltern einen Zettel hinterlassen mußte. Sonst würden sie glauben, seine Rückkehr wäre nur ein Traum gewesen.
    »Wir müssen gehen«, sagte er. »Wir haben keine andere Wahl.«
    »Und wann soll’s losgehen?«
    »Jetzt!« sagte Harvey finster entschlossen. »Wir haben schon viel zuviel Zeit verloren.«
    139

XVI
Zurück ins Land des Glücks

    E s war, als ob das Haus wüßte, daß sie zurückkämen, und nach ihnen rufen würde. Denn sobald sie auf der Straße waren, schienen ihre Füße von selbst den Weg zu kennen. Sie mußten sich nur noch von ihnen leiten lassen.
    »Und was machen wir, wenn wir wieder dort sind?« wollte Wendell wissen. »Ich meine, letztes Mal konnten wir mit Mühe unser Leben retten.«
    »Mrs. Griffin wird uns helfen«, sagte Harvey.
    Wendell atmete schneller. »Angenommen, Carna hat ihr den Kopf abgebissen?«
    »Dann werden wir es eben alleine schaffen müssen.«
    »Was schaffen?«
    »Hood finden.«
    »Aber du hast mir doch erzählt, daß er tot ist.«
    »Ich glaube nicht, daß es bei Kreaturen wie ihm eine große Rolle spielt, ob er tot ist oder nicht«, sagte Harvey. »Wendell, er hält sich irgendwo im Haus auf, und wir müssen ihn zur Strecke bringen, ob wir wollen oder nicht. Schließlich hat er uns all die Jahre mit unseren Eltern gestohlen. Und wir werden sie erst wiederbekommen, wenn wir ihn stellen.«
    »Bei dir klingt das ganz einfach«, meinte Wendell.
    »Das ganze Haus ist eine einzige Trickkiste«, schärfte ihm Harvey ein. »Die Jahreszeiten, die Geschenke, alles Illusion.
    Daran müssen wir immer

Weitere Kostenlose Bücher