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Das Haus der verschwundenen Jahre

Das Haus der verschwundenen Jahre

Titel: Das Haus der verschwundenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Eigentum.«
    Wendell hatte einen ganz glasigen Blick, und Harvey begriff, daß der verführerische Zauber des Hauses bereits wieder wirkte. Über kurz oder lang würde auch sein eigener Wille zum Widerstand schwinden, das war ihm klar. Und was dann?
    Würde er seine Aufgabe gänzlich vergessen? Würde er ein junger Hohlkopf werden, der sich wie ein Blödian schieflachte, während ihm die Seele ausgesaugt wurde?
    »Nein!« rief er laut. »Das werde ich dir nicht gestatten!«
    »Was?« fragte Wendell.
    »Wir haben noch einiges vor!« erklärte ihm Harvey.
    »Wen juckt’s?« antwortete Wendell.
    »Mich – und dich vor fünf Minuten auch noch. Wendell, denk daran, was es uns angetan hat.«
    Bei diesen Worten schien der Wind in den Zweigen zu seuf-zen.
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    »Aaahh …«, machte er, als ob er jetzt Harveys Absicht verstanden hätte und diese Erkenntnis Mr. Hoods Ohren zufächern würde.
    Harvey war es egal. Und im Grunde genommen war es ihm sogar ganz recht.
    »Na los«, rief er, während die Windböen aufs Haus zuflogen.
    »Sag’s ihm! Sag’s ihm!« Er drehte sich zu Wendell um.
    »Kommst du jetzt?« fragte er. »Oder muß ich alleine hineingehen?«
    »Meinetwegen können wir gern reingehen«, sagte Wendell vergnügt. »Ich habe Hunger.«
    Harvey starrte Wendell unverwandt an. »Weißt du denn gar nichts mehr davon, was wir draußen besprochen hatten?«
    wollte er wissen.
    »Aber natürlich«, antwortete Wendell, »wir hatten ausgemacht, daß wir …« Er stockte und runzelte die Stirn, »daß …
    wir …«
    »Wendell, dieser Ort hat uns Zeit gestohlen, Zeit, die uns gehört hat.«
    »Wie hat er das gemacht?« fragte Wendell und zog noch immer ein höchst verdutztes Gesicht. »Es ist doch so … so …«
    Wieder blieb er stecken und suchte nach Worten. » … so ein perfekter Tag.« Allmählich verschwand der verdutzte Gesichtsausdruck wieder und machte einem breiten Grinsen Platz.
    »Wen juckt’s?« meinte er. »Ich meine, wen juckt’s schon, an solch einem Tag? Wir sollten uns ein bißchen amüsieren.«
    Harvey schüttelte den Kopf. Er verlor hier kostbare Zeit, und das war genau das, was Hood und das Haus wollten. Er verschwendete kein Wort mehr an Wendell, sondern machte auf dem Absatz kehrt und ging auf die Vordertür zu.
    »Warte auf mich!« schrie Wendell. »Riechst du den Kuchen?«
    Das tat Harvey und wünschte, er hätte sich noch den Magen vollgestopft, ehe er zu diesem Abenteuer aufgebrochen war.
    146

    Obwohl er wußte, daß all diese verführerischen Düfte zu Hoods Repertoire gehörten, reichte das nicht aus, um zu verhindern, daß ihm das Wasser im Mund zusammenlief und sein Magen knurrte.
    Als einziges Gegenmittel blieb ihm der Gedanke an den Staub, zu dem seine Tiere aus der Arche zerfallen waren, als er auf die Straße hinausgetreten war. Vermutlich bestand der Kuchen auf dem Küchentisch aus demselben bitteren Stoff und alles Süße war nur Schein. So gut es ging, hielt er an diesem Gedanken fest, denn eines war ihm klar: Das Haus, das er soeben betreten wollte, war randvoll mit derartig schmeicheln-den Trugbildern.
    Und wieder stieg er die Eingangstreppe hoch – Wendell immer eine Stufe hinterdrein – und marschierte ins Haus. Als sie beide drinnen waren, schlug im selben Augenblick die Tür hinter ihnen zu. Harvey fuhr mit einem Ruck herum. Er hatte eine Gänsehaut. Aber nicht der Wind hatte die Tür zugeworfen.
    Rictus war es gewesen.
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XVII
Die Köchin, die Katze
    und der Sarg

    » S chön, daß du wieder da bist, mein Junge«, rief Rictus und grinste so breit wie eh und je. »Ich hab’s jedem gesagt, daß du gar nicht in der Lage wärst, fortzubleiben, aber keiner hat’s geglaubt. Er ist weg, haben alle gesagt, er ist weg. Aber ich wußte es besser.« Er wollte auf Harvey zugehen. »Ich wußte, daß du dich mit einem Kurzbesuch nicht zufriedengeben würdest – nicht wenn noch so viel Spaß auf dich wartet.«
    »Ich habe Hunger«, greinte Wendell.
    »Bedien dich!« grinste Rictus.
    Im Handumdrehen war Wendell in der Küche verschwunden.
    »JungeJungeJunge!« rief er. »Schau dir bloß das viele Essen an!«
    Harvey gab keine Antwort.
    »Hast du keinen Hunger?« fragte Rictus, zog eine Augenbraue weit über die Brille hinauf und legte die Hand hinters Ohr. »Für mich klingt das wie ein leerer Magen.«
    »Wo ist Mrs. Griffin?« fragte Harvey.
    »Ach … ganz in der Nähe«, meinte Rictus schelmisch. »Leider wird sie alt und geht seit neuestem ziemlich oft ins Bett.
    Deshalb haben

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