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Das Haus der verschwundenen Jahre

Das Haus der verschwundenen Jahre

Titel: Das Haus der verschwundenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Sonnenstrahlen im Namen des Sommers die Sturmwolken, nur um sofort wieder von den Herbstnebeln erstickt zu werden, während zu seiner Rechten der Frühling seine Legionen aus Gezweig und Erde trieb, um mitansehen zu müssen, wie die Winterfröste seine Knospen hinmordeten, noch ehe sie ihre Farben zeigen konnten.
    Attacke um Attacke formte sich und wurde zurückgeschla-gen, hundertmal blies man zum Angriff und zum Rückzug, aber nicht eine Jahreszeit war in der Lage, den Sieg zu errin-gen. Und bald war es unmöglich, Niederlagen und Siege zu unterscheiden. Formationen und Scheinangriffe, Ablenkungs-manöver und Einkesselungen geronnen zu einem einzigen Wirrwarr. Noch im Fallen schmolz der Schnee zu Regen, und die Regentropfen verdampften und bildeten neue Bombarde-ments aus ihren verblichenen Brüdern.
    Und irgendwo im Zentrum dieses Chaos erhob sich, rasend vor Zorn, die Stimme jener Macht, die alles verursacht hatte, und forderte ein Ende.
    »Genug!« brüllte das Hood-Haus. »Genug!«
    Aber seine Stimme, in der früher einmal so viel Gebieteri-sches mitgeschwungen hatte, war schwach geworden. Ihre Befehle verhallten ungehört. Und wenn sie gehört wurden, wurden sie nicht befolgt.
    Die Jahreszeiten wüteten fort, stürzten sich mit seltener Inbrunst aufeinander und zerrten dabei immer wieder an dem Haus, das im Zentrum ihres Schlachtfeldes stand.
    Wütender Sturm fegte die Mauern beiseite, die bereits zu wackeln begonnen hatten, als Hoods Macht schwächer geworden war. Schornsteine zerbarsten unter dem Donner und stürzten herab. Blitzableiter wurden so oft getroffen, daß sie schmolzen. Wie brennender Regen fielen sie durch das abgedeckte Dach und setzten Fußbodenbretter, Treppengeländer und jedes Stück Holz, das sie streiften, in Flammen. Der 205

    Hagel trommelte auf die Veranda, bis nur noch Splitter übrig waren. Immer höher wuchsen die Schutthaufen ums Treppenhaus, bis seine Fundamente erbebten und es wie ein Kartenhaus zusammenfiel.
    Mit zusammengekniffenen Augen hob Harvey sein Gesicht gegen den Sturm. Nicht das Geringste entging ihm, und er jauchzte auf. Er war in der Hoffnung zu dem Haus gekommen, er könnte sich die Jahre zurückholen, die Hood ihm mit List und Tücke geraubt hatte. Aber nie hätte er sich träumen lassen, daß er das ganze Gebilde zum Einsturz bringen könnte. Und doch war es soweit. Es stürzte zusammen, und er sah dabei zu.
    Laut tobten Wind und Donner, und doch konnten sie nicht den Lärm des Hauses übertönen, das jetzt unterging und zu Staub zerfiel. Jeder Nagel, jedes Brett, jeder Ziegel schrie offenbar gleichzeitig auf. Schmerzensschreie, die nur die völlige Vernichtung trösten konnte.
    Harvey war es nicht vergönnt, Hoods letzte Augenblicke mitanzusehen. Eine Staubwolke stieg auf und legte sich wie ein Schleier über den Anblick. Aber er wußte, wann sein Kampf mit dem König der Vampire zu Ende gewesen war. Denn plötzlich hatten die verfeindeten Jahreszeiten Frieden geschlossen. Die Gewitterfront besänftigte ihr Toben und löste sich auf, der Sturm ebbte zu einem lauen Lüftchen ab, und die stechende Sonne zog Wasser und hüllte sich in einen Dunstschleier.
    Sicher, die Luft war noch immer voller Schutt: Blütenblätter und Laub, Staub und Asche, alles regnete herunter wie im Traum, obwohl ihr Fallen das Ende eines Traums bedeutete.
    »O Kind!« sagte Mrs. Griffin.
    Harvey wandte sich ihr zu. Sie stand nur wenige Schritte von ihm entfernt und schaute in den Himmel hinauf. Über ihren Köpfen erschien ein kleines Fleckchen Blau – das erste Stück echten Himmels, seit Hood sein Königreich der Illusionen gegründet hatte. Aber sie betrachtete gar nicht dieses Fleckchen, sondern eine Prozession schwebender Lichter. Es waren 206

    dieselben, die Harvey auf dem Speicher gesehen hatte. Dieselben, die Hood als Nahrung gedient hatten. Der Zusammenbruch des Hauses hatte sie befreit. Und jetzt bewegten sie sich in einem steten Strom auf den See zu.
    »Die Seelen der Kinder«, sagte sie, und ihre Stimme wurde dabei dünner. »Wunderschön.«
    Harvey merkte, daß ihr Körper nicht mehr so fest war. Direkt vor seinen Augen löste sie sich allmählich auf.
    »O nein«, murmelte er.
    Sie wandte den Blick vom Himmel und starrte ihre Arme an und die Katze, die sie trug. Auch diese verlor zusehends ihre körperhafte Substanz.
    »Schau uns an«, sagte Mrs. Griffin, und dabei strahlte ihr müdes Gesicht. »Es ist so ein wunderbares Gefühl.«
    »Aber Sie verschwinden.«
    »Mein lieber

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