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Das Haus der verschwundenen Jahre

Das Haus der verschwundenen Jahre

Titel: Das Haus der verschwundenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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und versucht hätte, mich von meinen Qualen zu erlösen.« Er hob die Kugel vors Gesicht und grinste anzüglich. »Hierin habe ich genug Macht, um noch jahrelang so weiterzumachen«, sagte er. »Lange genug, um ein neues Haus zu bauen und genau dort wieder anzufangen, wo Hood aufgehört hat. Ach, Kindchen, schau doch nicht so unglücklich. Für dich hab’ ich auch schon ein Plätzchen, genau hier.« Und dabei klopfte er sich auf den Schenkel. »Du darfst mein Lockvogel sein. Ich werde dich hinausschicken. Und dann suchst du lauter süße kleine Kinderchen und bringst sie heim zu Onkel Rictus.« Er klopfte sich zum zweiten Mal auf den Schenkel. »Nun los!« sagte er. »Vergeude jetzt nicht meine Zeit. Ich habe nicht –«
    Und damit verstummte er. Sein Blick wanderte zu dem Trümmerhaufen unter seinen Füßen.
    Jetzt konnte er nur noch verstört flüstern: »O nein … Bitte verzeihen –«
    Aber noch ehe er mit seiner Bitte fertig war, fuhr eine Hand mit ellenlangen Fingern aus dem Trümmerhaufen, packte ihn an der Kehle und zerrte ihn blitzschnell in den Schmutz hinunter.
    »Mein!« rief die Stimme aus dem Untergrund. »Mein!«
    Es war Hood. Harvey wußte es. Keine andere Stimme auf Erden ging einem so tief unter die Haut.
    Rictus wehrte sich gegen den Würgegriff seines Schöpfers 212

    und wühlte im Schutt nach einer Waffe. Aber nichts bot sich an, und so mußte er sich auf sein Talent als Schönredner verlassen.
    »Die Zauberkraft gehört ja dir«, rief er. »Ich habe sie nur für dich aufbewahrt!«
    »Lügner!« rief die Stimme aus dem Schutt.
    »Ich schwöre! Ich hab’s!«
    »Dann gib sie mir!« forderte Hood.
    »Wohin soll ich sie stellen?« fragte Rictus. Seine Stimme klang ganz erstickt.
    Hoods Hand ließ ein wenig locker, und Rictus konnte sich endlich hochziehen und hinknien.
    »Genau hierher!« rief Hood und hielt Rictus mit dem kleinen Finger noch immer am Kragen fest. Sein Zeigefinger deutete auf den Trümmerhaufen. »Schütte sie auf den Boden.«
    »Aber –«
    »Auf den Boden!«
    Rictus zerdrückte die Kugel zwischen seinen Händen. Sie zerbarst wie eine Zuckerkugel, und ihr leuchtender Inhalt lief ihm zwischen den Fingern hindurch und versickerte im Boden.
    Einen Moment lang herrschte Stille, dann lief ein Zittern durch den Trümmerhaufen.
    Hood ließ die Finger von seinem Gefangenen, und Rictus machte, daß er auf die Füße kam. Zum Fliehen blieb ihm aber keine Gelegenheit. Denn sofort sausten Holzstücke und Steine über die Schuttberge auf den Fleck zu, wo er den Zaubertrank verschüttet hatte. Einige segelten so hoch durch die Lüfte, daß Rictus nur noch seinen Kopf bedecken konnte, während der Trümmerhagel immer stärker wurde.
    Harvey stand außerhalb der Reichweite des fliegenden Schutts und hätte sich in diesen Augenblicken gut aus dem Staub machen können. Aber dazu war er viel zu klug, denn er wußte, wenn er jetzt floh, würde seine Auseinandersetzung mit Hood nie ein Ende haben und ihm ständig wie ein Alptraum im 213

    Kopf herumspuken. Egal, was jetzt passieren würde, egal, wie schrecklich es auch wäre, es wäre immer noch besser, sich dem zu stellen und es zu begreifen, als sich abzuwenden und dann bis ans Ende seiner Tage von Schreckensbildern geplagt zu werden.
    Er mußte nicht lange auf Hoods nächsten Zug warten. Die Hand, die Rictus am Genick gepackt hatte, ließ ihn plötzlich los und war blitzschnell verschwunden. Einen Augenblick später brach der Boden auf, und aus dem Trümmergrab stieg gebückt eine Gestalt.
    Rictus stieß einen Entsetzensschrei aus, aber es war zu spät.
    Bevor er auch nur einen Schritt rückwärts hatte tun können, packte ihn das Wesen, hob seinen verräterischen Diener hoch in die Luft und drehte sich nach Harvey um.
    Da stand es endlich, das Böse, das das Haus der Ferien erbaut hatte, in mehr oder weniger menschlicher Gestalt. Aber es bestand nicht aus Fleisch, Blut und Knochen. Mit Hilfe des Zaubertranks, den Rictus unfreiwillig zur Verfügung gestellt hatte, hatte es sich einen neuen Körper erschaffen.
    Auf dem Höhepunkt seiner bösen Macht war Hood das Haus gewesen. Jetzt war es umgekehrt. Die Überreste des Hauses waren zu Mr. Hood geworden.
    214

XXV
Der Malstrom

    S eine Augen bestanden aus Spiegelscherben und sein Gesicht aus Steinbrocken. Holzsplitter formten seine Mähne und Bretter seine Gliedmaßen. Zerbrochene Dachziegel dienten als Zähne und verrostete Schrauben als Fingernägel. Er trug einen Mantel aus zerschlissenen

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