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Das Haus der verschwundenen Jahre

Das Haus der verschwundenen Jahre

Titel: Das Haus der verschwundenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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draußen trennte. »Wie ist das bloß möglich?«
    Aber Wendell antwortete bloß wieder: »Wenn juckt’s?« Und dann meinte er: »Ich weiß nur eines, mich nicht. Also, fangen wir jetzt mit dem Bauen an, oder?«
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    Die nächsten zwei Stunden bastelten sie am Baumhaus herum, kletterten ein dutzend Mal hinunter, um den Holzstoß neben den Obstgarten durchzuwühlen. Sie suchten nach Brettern, um mit den Reparaturen fertig zu werden. Bis Mittag hatten sie nicht nur genügend Holz gefunden, um das Dach fertig zu decken, sondern auch beide einen Freund. Harvey mochte Wendells faule Witze und sein »Wen juckt’s?«, das mindestens in jedem zweiten Satz auftauchte. Und Wendell schien mit Harveys Gesellschaft genauso zufrieden zu sein.
    »Du bist das erste Kind, mit dem es richtig Spaß macht«, sagte er.
    »Und was ist mit Lulu?«
    »Was soll schon mit ihr sein?«
    »Macht’s mit ihr keinen Spaß?«
    »Als ich hier neu ankam, war sie ganz in Ordnung«, gab Wendell zu. »Ich meine, sie ist schon seit Monaten hier. Also hat sie mich hier überall rumgeführt. Aber seit ein paar Tagen ist sie seltsam. Manchmal ertappe ich sie, daß sie mit so ‘nem leeren Gesichtsausdruck rumläuft, wie ‘ne Schlafwandlerin.«
    »Vielleicht wird sie verrückt«, meinte Harvey, »und ihr Gehirn wird Matsche.«
    »Kennst du dich mit so was aus?« wollte Wendell wissen.
    Der Gedanke an ein gruseliges Vergnügen ließ sein Gesicht förmlich strahlen.
    »Na klar«, log Harvey, »schließlich ist mein Vater ja Chir-urg.«
    Das beeindruckte Wendell tief, und die nächsten Minuten lauschte er neidvoll mit offenem Mund, während Harvey von den vielen Operationen erzählte, die er schon gesehen hatte: von aufgesägten Schädeln und abgesägten Beinen, von Füßen, die anstelle der Hände angenäht worden waren, und von einem Mann mit einer Beule am Hintern, die sich zu einem sprechen-39

    den Kopf ausgewachsen hatte.
    »Ehrlich?« fragte Wendell.
    »Ehrlich«, bekräftigte Harvey.
    »Das ist ja echt heiß.«
    Das viele Reden machte sie schrecklich hungrig, und so kletterten sie auf Wendells Vorschlag hin die Leiter hinunter und begaben sich zum Essen ins Haus.
    »Was würdest du denn gern heute nachmittag machen?«
    fragte er Harvey, während sie sich zu Tisch setzten. »Es wird ziemlich heiß werden. So wie immer.«
    »Kann man hier irgendwo schwimmen gehen?«
    Wendell runzelte die Stirn. »Tja, schon …«, meinte er zweifelnd. »Auf der anderen Seite des Hauses ist ein See, aber der wird dir nicht recht gefallen.«
    »Warum nicht?«
    »Das Wasser ist so tief, daß man nicht mal auf den Grund sehen kann.«
    »Gibt’s denn Fische?«
    »Ach bestimmt.«
    »Vielleicht können wir ein paar fangen, und Mrs. Griffin brät sie dann für uns.«
    In diesem Moment stieß Mrs. Griffin, die am Herd stand und einen Teller Zwiebelringe aufschichtete, einen kleinen Schrei aus und ließ den Teller fallen. Sie drehte sich zu Harvey um.
    Ihr Gesicht war aschfahl.
    »Das möchtest du doch wohl nicht wirklich tun«, sagte sie.
    »Und warum nicht?« antwortete Harvey. »Ich dachte, ich könnte tun, was ich will.«
    »Tja, schon, natürlich kannst du das«, antwortete sie, »aber ich möchte nicht, daß du krank wirst. Weißt du, die Fische sind … giftig.«
    »Oh«, machte Harvey, »na schön, vielleicht wollen wir sie ja gar nicht essen.«
    »Schaut euch nur diesen Saustall an«, rief Mrs. Griffin und 40

    fuchtelte aufgeregt herum, um ihre Verwirrung zu überspielen.
    »Ich brauche eine neue Schürze.«
    Sie eilte fort, um eine zu holen, und ließ Harvey und Wendell allein. Die beiden schauten sich verblüfft an.
    »Jetzt will ich diese Fische erst recht sehen«, sagte Harvey.
    Noch während er das sagte, hüpfte der stets neugierige Naseweis auf die Anrichte neben dem Ofen. Und ehe es einer der beiden Jungen hätte verhindern können, hatte er seine Vorder-pfoten schon am Pfannenrand.
    »He, komm da runter!« rief Harvey.
    Aber der Kater hatte nicht die geringste Lust, sich herum-kommandieren zu lassen. Er kletterte auf den Pfannenstiel und schnupperte am Inhalt herum. Sein Schwanz peitschte dabei hin und her. Und im nächsten Moment war das Unglück schon geschehen! Der Schwanz war einer Flamme zu nahe gekommen und fing Feuer. Naseweis jaulte auf und stieß die Pfanne und einen Topf um. Ein Schwall von kochendheißem Wasser ergoß sich über ihn, und er stürzte zu Boden. Hier lag er nun, ein qualmendes Bündel. Ob verbrüht oder verbrannt, das Ergebnis war

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